Achtung Wahrnehmungsfalle

Das Kulturforum am Potsdamer Platz präsentiert die »100 besten Plakate«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer luftigen Inszenierung im Foyer des Kulturforums an der Potsdamer Straße präsentieren sich die besten 100 Plakate, die im letzten Jahr in Deutschland, der Schweiz und Österreich hergestellt wurden und deren Gestalter sie für Wert befanden, sie beim seit 1980 (damals noch in der DDR) ausgetragenen Wettbewerb einzureichen. Je paarweise Rücken an Rücken geklebt schwingen sie im Zentrum von zirka 2,50 Meter hohen Aluminiumringen und laden zum Betrachten und spielerischen Annähern ein.

Eine holzschnittartige Motorradbraut (ein Hinweis auf eine Veranstaltung des Kulturzentrums Reithalle Bern durch das Designerbüro Komet), eine blutrot schillernde Mary Stuart (vom Büro BLVDR für die Comedie de Geneve), eine aus kariertem Tischtuch gestaltete Milchproduktedekoration (von Grotesk.cc für die Schweizer Käseunion) und ein aggressiver Sicherheitshinweis (von Fons Hickmann m23 für die Ausstellung »Embedded Art« in der Akademie der Künste Berlin) ziehen auf den ersten Blick die Aufmerksamkeit auf sich.

Der zweite Blick fällt auf kleinteilige Stadtlandschaften, wie sie die Wiener Künstlerin Nina Wilsmann für Berlin und Hamburg, Wien und Wasserburg entwickelte. Der dritte Blick wiederum verfängt sich in den Wahrnehmungsfallen des Berliner Büros Cyan. Nur aus gedämpften Schwingungslinien matter Farbigkeit besteht der Hinweis auf eine Installation in der Singuhr Hörgalerie in Prenzlauer Berg. Aus grauem Pixelnebel schält sich eine Tänzerin auf dem Plakat für eine Vorstellungsreihe der Tanzcompagnie Toula Limnaios. Gerade weil die Informationen unter einem Schleier verborgen liegen, saugen sich Auge und Wahrnehmungsapparat fest .

So unterschiedlich all diese Ansätze sind, so stark die Schweizer Gestalter wirken und so präsent Berliner sind – der Gewinner heißt dennoch Stuttgart. Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart kristallisiert sich als die Hochschule heraus, in der die größte Anzahl der Preisträger ihr grafisches Handwerk erlernte. 28 Gestalter haben dort studiert. Die Hochschule Luzern mit 20 einstigen Absolventen folgt auf Platz 2. Die Berliner Unis sind mit ihren sieben (UdK) und sechs (Kunsthochschule Weißensee) Prämierten recht abgeschlagen; produktiver und kreativer wirkte nicht nur in diesem Jahr die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (12 Nennungen). Betrachtet man hingegen den Wohn- und Arbeitsort der Preisträger, so wird Berlin von einer beeindruckenden Anzahl von Ringen umgeben. Auch in der Branche der Plakatgestalter ist also die Magnetwirkung dieser Stadt zu konstatieren.

Sicht- und begreifbar werden diese Informationen dank der klugen grafischen Aufbereitung der nackten Daten in Kreisdiagrammen durch das Büro L2M3 Kommunikationsdesign im letzten Teil des Katalogs. L2M3 zeichneten auch für das Ausstellungsdesign verantwortlich. »Jahresringe waren die erste Überlegung. Danach ging es um Rotationen und die Resonanz- und Überlagerungseffekte, die sich dabei ergeben«, erzählen die Gestalter. Kreise mit Moiréeffekten zieren jetzt die Werbematerialien. Die viereckigen Plakate selbst sind in großen, aber dennoch filigranen Reifen, die an die Hochräder des vorletzten Jahrhunderts erinnern, befestigt.

Erstmals ist der Wettbewerb zudem in drei Bereiche unterteilt: in Auftrag erstelltes Plakat (63 Preisträger), in Eigenauftrag produziertes künstlerisches Plakat (14 Preisträger) und betreutes studentisches Projekt (23). Sind die studentischen Plakate durch eine Vorliebe für Typo und komplexe Anordnungen gekennzeichnet, so fallen die freien künstlerischen Projekte durch weitgehende Souveränität der Gestaltung der Fläche auf. Variantenreicher sind die kommerziellen Projekte, was aufgrund von deren zahlenmäßigem Übergewicht (mit 63 Preisträgern fast zwei Drittel) allerdings wenig verwundert. Gestalter von Plakatwerbekampagnen großer Unternehmen hielten sich dieses Mal bei der Einsendung leider zurück, stellte die Jury fest.

Auffallend ist der schon im Vorjahr konstatierte Rückgang des reinen Fotoplakats. Ob dies nur der Auswahl der sechs Juroren geschuldet ist oder auch die Realität der zirka 1600 eingereichten Arbeiten widerspiegelt, war nicht zu erfahren. Eine Renaissance erlebt dagegen die Fotoplastik, also die Einbindung fotografischer Elemente in typografische, malerische und zeichnerische Kontexte.

Wieder einmal ist den Organisatoren eine schöne Hommage an eine sich trotz aller technologischen Entwicklung weiter tapfer haltende künstlerische Nische gelungen.

Bis 17.7., Kulturforum, Matthäikirchplatz 6, Eintritt frei

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