Plädoyer für den Überprüfungsstaat

Juristen kritisierten während einer Bundestagsanhörung Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesregierung will das Stasi-Unterlagen-Gesetz ändern. Überprüfungen von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes auf eine frühere MfS-Mitarbeit sollen demzufolge bis Ende 2019 verlängert werden. Zudem soll den Kreis der zu Überprüfenden erweitert werden. Während der gestrigen Bundestagsanhörung stellten die geladenen Juristen die Verfassungsmäßigkeit der Gesetznovelle in Frage.

Auch mehr als zwanzig Jahre nach seiner Auflösung beschäftigt das Ministerium für Staatssicherheit die Politik. So lud der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien am Montag zu einer öffentlichen Anhörung zur geplanten Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Hintergrund: Die schwarz-gelbe Koalition will die Frist für Stasi-Überprüfungen bis Dezember 2019 verlängern. Doch es kommt noch dicker: Laut Gesetzentwurf soll auch der »überprüfbare Personenkreis« ausgeweitet werden. Seit Jahren sind die Zahlen der Prüfungen extrem rückläufig. So fanden 2010 noch ganze 76 Checks statt. Grund für den Rückgang: Die Novelle des Unterlagengesetzes im Jahre 2006 hatte den Kreis der zu Überprüfenden stark eingeschränkt. Damit soll nun Schluss sein. Demnächst müssen sich Mitarbeiter ab Gehaltsstufe A13 – also etwa Schuldirektoren – auf eine Stasi-Tätigkeit testen lassen. Zudem soll sich auch beschnüffeln lassen, wer in einem Betrieb arbeitet, der zu mindestens 50 Prozent dem Staat gehört – also etwa der Deutschen Bahn.

Thomas Lenz, Staatssekretär im CDU-geführten Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns, plädierte am Montag als Sachverständiger gar für eine weitere Ausweitung des Personenkreises. Wer »Zeichnungsbefugnis« habe, so Lenz, müsse für eine »mögliche Überprüfung offen stehen«, so Lenz. Die Grenze A13 sei zu hoch. Sie erfasse beispielsweise nicht den Leiter eines Polizeireviers.

Der Berliner Jurist Johannes Weberling hielt von der Ausweitung des Personenkreises »wenig«. Das in der Novelle genannte Prüfkriterium »leitende Funktion« sei »ungenau«. Man sollte das Screening auf »Behördenleiter« beschränken, so Weberling. Zudem stellte der Jura-Professor den Sinn der Novelle generell in Frage: »Was bringt ihnen das Wissen«, fragte er. Denn selbst wenn eine Tätigkeit ans Licht komme, sei »dienstrechtlich kaum etwas auszurichten«, eine Entlassung also nicht möglich. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Hans Peter Bull stimmte Weberling zu: Die fortdauernde Überprüfung sei »grundrechtlich extrem fragwürdig«, so Bull. Der Freiburger Jurist Michael Kleine-Cosack nannte den schwarz-gelben Entwurf »verfassungswidrig«. Er kritisierte die im Gesetz vorgesehene »anlasslose Überprüfung«. Grundsätzlich sei das Gesetz »ein Plädoyer für einen Überprüfungs- und Überwachungsstaat«, so Kleine-Cosack in seiner Stellungnahme.

Auffällig war: Alle der als Sachverständige gehörte Juristen lehnten den Entwurf in seiner jetzigen Form ab.

Zustimmung kam am Montag vor allem von ehemaligen Bürgerrechtlern, Opferverbänden und Historikern. So wies die DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe die Einwände der skeptischen Juristen zurück: »Transparenz« sei nur durch Überprüfung möglich, so Poppe. Auch der notorische Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, zeigte sich vom Nutzen der Novelle überzeugt. Wohl auch weil sie vorsieht, Wissenschaftlern einen noch besseren Zugang zum Aktenmaterial zu gewähren.

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