Aus der JVA in die Psychiatrie
Fall eines Vietnamesen wird erneut entschieden
Ein heute 42-jähriger Vietnamese war 1994 in erster Instanz wegen eines Doppelmordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach Verbüßung von 17 Haftjahren wurde der Mann Anfang 2011 wegen eines Justizirrtums freigesprochen und aus dem Gefängnis in eine geschlossene Psychiatrie überwiesen. Jetzt soll, so entschied der Bundesgerichtshof nun, geprüft werden, ob der Mann in Freiheit kommt. Zuständig für dieses dritte Verfahren ist das Landgericht Dresden.
Der Mann kam im Wendejahr 1989 als vietnamesischer Vertragsarbeiter nach Deutschland. Im August 1993 erschoss er zwei Landsmänner in Plauen im Vogtland. Daran gibt es keinen Zweifel. Anschließend stellte er sich der Justiz. Er wurde 1994 in erster Instanz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Im letzten Herbst nährten mehrere Fachgutachten Zweifel an seiner Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Er wurde aus der JVA in eine geschlossene Psychiatrie überstellt. Das Verfahren wurde neu aufgerollt. Der Mann wurde Anfang 2011 vor dem Landgericht Chemnitz wegen einer durch eine Schizophrenieerkrankung verursachten Schuldunfähigkeit freigesprochen. Allerdings wurde ihm die Haftentschädigung verweigert. Außerdem sollte er laut Richterspruch weiter in der geschlossenen Klinik verbleiben. Dort hatte er nach fast zwei Jahrzehnten endlich Anspruch auf eine Therapie.
»Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch des Landgerichtes Chemnitz bestätigt«, sagt Arno Glauch, Anwalt des Mannes. Aufgehoben wurde allerdings die Anordnung, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. »Der Bundesgerichtshof meinte, dass der Gesundheitszustand meines Mandanten und sein psychisches Verhalten während der Haftzeit durch das Landgericht Chemnitz nicht ausreichend geprüft wurde.« Über die Frage Freiheit oder Psychiatrie muss nun das Landgericht Dresden entscheiden. Ebenso wird dort die Frage einer Haftentschädigung neu aufgerollt werden müssen. Bis zur Entscheidung verbleibt der Mann in der Klinik.
Ungeklärt ist weiterhin, ob und wie sich der Mann in Deutschland aufhalten darf. Bisher hat er nur eine zeitlich eng befristete Duldung. Wegen seiner Inhaftierung konnte er eine Regelung für ehemalige Vertragsarbeiter nicht nutzen, die seinen Landsleuten 1997 ein unbefristetes Bleiberecht brachte. Ob hier eine Altfallregelung greifen kann, ist unklar. Aber in vergleichbaren Fällen hat Vietnam deutschen Behörden die Entscheidung abgenommen: Das Land verweigert des öfteren die Aufnahme von psychisch auffälligen Landsleuten aus dem Ausland.
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