Streit der Eltern um den Kinderausweis vor Gericht

Verfahrenskostenhilfe

  • Lesedauer: 3 Min.

• Ohne den Kinderausweis kann ein Elternteil sein Kind nicht auf eine Urlaubsreise ins Ausland mitnehmen. Ist der andere Elternteil mit der Ausstellung des Kinderausweises nicht einverstanden, so bleibt bei einem gemeinsamen Sorgerecht als Ausweg, das Jugendamt um eine Vermittlung zu bitten oder zu Gericht zu gehen. Doch in welchen Fällen erhält ein Elternteil, der sich finanziell selbst kein gerichtliches Verfahren leisten kann, für den direkten Weg zu Gericht Verfahrenskostenhilfe als staatliche Leistung?

Mit dieser Frage setzte sich das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgerichtes in einem Beschluss vom 9. Juni 2011 (Az. 10 WF 86/11) grundlegend auseinander, wie die Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e.V. berichtet.

• Der Sachverhalt: Die Mutter wollte mit den beiden neun Monate und zwei Jahre alten Kindern Verwandte in Holland besuchen. Für das jüngste Kind war noch kein Kinderausweis vorhanden. Die Eltern sind verheiratet, leben aber getrennt.

Der Vater verweigerte die Zustimmung zur Ausstellung des Kinderausweises, weil er befürchtete, dass die Mutter das Kind ohne seine Zustimmung in die Türkei zu dortigen Verwandten bringen wollte. Die Mutter beantragte daraufhin beim Familiengericht, ihr die Befugnis zu geben, die Ausstellung des Ausweises alleine zu beantragen.

Zugleich wollte sie für das gerichtliche Verfahren Verfahrenskostenhilfe haben, weil sie nur über geringe Einkünfte verfügte. Das Familiengericht lehnte den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe wegen »Mutwilligkeit« ab, weil die Mutter vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nicht das Jugendamt eingeschaltet hatte. Hiergegen legte die Mutter Rechtsmittel ein.

• Die Entscheidung: Das OLG sah das Handeln der Mutter nicht als mutwillig an und gewährte ihr Verfahrenskostenhilfe. Zur Begründung heißt es: In den Verfahrensvorschriften ist ein obligatorisches (verpflichtendes) Schlichtungsverfahren beim Jugendamt vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht vorgesehen. Durch einen Vermittlungsversuch beim Jugendamt kommt es regelmäßig zur Zeitverzögerung. Diese ist einem Elternteil, der auf Verfahrenskostenhilfe angewiesen ist, nur zumutbar, wenn eine Vermittlung vom Jugendamt überwiegende Erfolgsaussicht hat.

Da im gerichtlichen Verfahren das Beschleunigungsgebot gilt, nach dem insbesondere das Familiengericht spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens einen Termin zur Erörterung ansetzen soll, ist es den Eltern auch nur zumutbar, vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens das Jugendamt einzuschalten, wenn das Jugendamt binnen einer Frist von einem Monat einen Vermittlungstermin anbieten kann.

Im vorliegenden Fall hatte sich der Vater außergerichtlich mehrfach geweigert, der Ausstellung eines Kinderausweises zuzustimmen, so dass das OLG es als wenig wahrscheinlich ansah, dass er im Rahmen einer Vermittlung durch das Jugendamt seine Zustimmung erteilt hätte.

Im gerichtlichen Verfahren stellte der Vater letztendlich seine Bedenken gegen die Urlaubsreise zurück. Die Eltern einigten sich vorm Familiengericht, dass der Vater mit der Ausstellung des Ausweises für das jüngste Kind einverstanden ist. Im Gegenzug verpflichtete sich die Mutter, dem Vater Urlaubsreisen ins Ausland vor Antritt mitzuteilen und sich nicht länger als vier Wochen am Stück mit den Kindern im Ausland aufzuhalten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal