Die Ruhe nach dem Aderlass

An der Spitze des Pelotons wird es übersichtlicher, heute geht es auf den Tourmalet

  • Tom Mustroph, Lavaur
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Mittelalter setzten die Ärzte bei Krankheiten aller Art gern Blutegel ein. Sie dachten, etwas Blut abzuzapfen nehme die Hitze aus dem Körper. Als eine kuriose Bestätigung dieser nicht mehr ganz aktuellen Lehrmeinung kann man die Situation der Tour de France werten. Nach zehn Tagen großen Aderlasses durch eine Vielzahl von Stürzen herrscht inzwischen größere Ruhe bei der Frankreichrundfahrt. Nervosität und Hektik haben etwas nachgelassen. Und weil einige Favoriten den Sattel mit dem Krankenbett eintauschen mussten und deren etatmäßige Helfer sich mangels zu Behütender tiefer ins Peloton zurückfallen lassen, wird es vorn übersichtlicher.

Für Entspannung sorgt auch, dass die wichtigsten Radsportnationen ihre ersten Erfolge verbucht haben – zwei Etappensiege für Spanien, je ein Wertungstrikot für Holländer und Belgier. Der Franzose Voeckler trägt Gelb. Die Deutschen konnten mit André Greipel nach längerer Durststrecke mal wieder einen der ihren als Tagessieger bejubeln. Die anglophone Welt feiert drei Etappensiege des Briten Mark Cavendish und je einen des Australiers Cadel Evans und des US-Amerikaners Tyler Farrar. Gerechter hätte der Tourgott den Kuchen kaum aufteilen können – sieht man von den Italienern ab. Doch deren Erwartungen waren ohnehin gering. Team Lampre steckt nach mehreren Dopingaffären in der Umstrukturierung. Team Liquigas hielt sich aus allen Tumulten fein heraus und hofft, gewissermaßen unter einer Tarnkappe Kapitän Ivan Basso bis zum Podium in Paris zu geleiten.

Natürlich sind noch viele Fehden offen. Der Spanier Rojas (Movistar) und der Belgier Gilbert (Omega) liefern sich einen heißen Kampf um das grüne Trikot. Das Überraschungsteam Vacansoleil schickt für die Zeit, in der ihr aus dem holländischen Flachland kommender Bergkönig Johnny Hoogerland noch an den Verletzungen durch den Zusammenprall mit dem TV-Fahrzeug laboriert, stets einen Mann in die Spitzengruppe vor, der der Konkurrenz die Bergpunkte wegpflückt. Manche Kämpfe haben noch gar nicht richtig begonnen. Thomas Voeckler zum Beispiel weiß, dass er sein gelbes Trikot allerspätetens am Samstag in Plateau de Beille, vielleicht aber auch schon heute in Luz-Ardiden los sein wird. Denn im letzten Drittel der 211km langen Etappe lauert mit dem Tourmalet der erste Scharfrichter der Tour. »Er wird zeigen, wer welche Kraft in den Beinen hat. Man wird hier noch nicht den Sieger der Tour de France 2011 erkennen können. Aber wir wissen danach zumindest, wer sie definitiv nicht gewinnen wird«, erzählt Giovanni Lombardi, Ex-Profi, Basso-Vertrauter und einflussreicher Agent einiger Radprofis. Dann wird sich erweisen, ob Lombardis Schützling Basso bislang schlau gefahren ist oder nur deshalb unsichtbar war, weil er nichts in die Waagschale zu werfen hat. Auch die Rätsel um Andy Schleck werden aufgelöst. Bei der Tour leistete er sich nur eine kleine Blöße. Bei der Tour de Suisse im Juni brach er auf einer Bergetappe ein. Wie stark ist der Luxemburger wirklich? Wie stark ist Cadel Evans? Was können die Verletzten und Versehrten – mit Knieproblemen Contador und Tony Martin, mit Rückenschmerzen Andreas Klöden – leisten? Thomas Voeckler wird sich um diese Befindlichkeiten nicht kümmern. Er wird kämpfen und beißen, um sein gelbes Trikot zu verteidigen und sein Sommermärchen aus dem Jahre 2004 zu wiederholen. Damals verteidigte er zehn Tage lang Gelb gegen Lance Armstrong.

11. Etappe, Blaye-les-Mines nach Lavaur (167,5 km): 1. Cavendish (Großbritannien) - HTC-Highroad 3:46:07 h, 2. Greipel (Rostock) Omega Pharma-Lotto, 3. Farrar (USA) - Garmin-Cervelo alle gl. Zeit.

Gesamt: 1. Voeckler (Frankreich) – Europcar 45:52:39 h, 2. Sanchez (Sopanien) Rabobank +1:49 min, 3. Evans (Australien) – BMC +2:26, ... 6. Martin (Kreulingen/Schweiz) HTC-Highroad +2:38, 8. Klöden (Kreuzlingen/Schweiz) Radioshack +2:43.

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