Mordsgeschichte

Das Diplom-Projekt »Solo Elektra« in der Brotfabrik

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Tragödie ist das. Eine verworrene Mordsgeschichte aus der griechischen Mythologie. Wer brachte Elektras Vater, den König Agamemnon, um? War es ihre Mutter Klytämnestra? War es deren Geliebter Ägisth? Am Ende sind sie bis auf Elektra alle tot. Auch die Schwester Chrysothemis. Allein die Hoffnung auf die Heimkehr des verbannten Bruders Orest bleibt. Mit seiner Hilfe könnte man die Morde rächen. Oder nicht?

Sophie Bartels' Diplom-Projekt »Solo Elektra« hatte auf der Bühne der Brotfabrik seine Premiere. In ihrem Solo mit Puppen ist sie Elektra, die mit ihren alten Puppen die ganze Angelegenheit durchspielt. Sie will ergründen, was geschah. An das frühe Familienleben erinnert ein gedeckter Tisch, an dem sie ihre Puppen platziert hat. Es sieht so aus, als wäre die Welt noch in Ordnung. Tischregeln blähen sich zur wichtigsten Sache auf. Noch ist Alltag in ihrem Spiel. »Sitzt gerade! Esst das, was auf den Tisch kommt...« Es ist der Hinweis auf Knigges Tischmanieren, auf die sie im Untertitel des Stücks als Fusion mit Hugo von Hofmannsthals »Elektra« verweist. Dass Sophie Bartels ihr Stück unter die Regie von Laura Linnenbaum stellte, war eine kluge Entscheidung. Das ermöglicht ihr, sich auf ihr Können zu konzentrieren, während sie sich auf die Hilfe und die Erfahrung der Regisseurin stützen kann.

Zunächst bleibt Elektra unter dem Tisch, zieht die Fäden. Dieser Ort ist wie eine kleine Guckkastenbühne gestaltet (Bühne: Victoria Philipp). Aber so reicht Elektra das Spiel mit den Puppen nicht. Sie will näher heran, will nach ihnen greifen. Nur so werden sie, die in Wirklichkeit alle schon gemeuchelt sind, ihr wieder lebendig genug. Die drei Stoffpuppen für Klytämnestra, Chrysothemis und Ägisth (Betty Wirtz) sind von Kleinkindgröße. Sie haben Schlaufen hinter den Köpfen. So von ihr gelenkt wenden sie sich allein Sophie Bartels als Elektra zu, um ihre Erklärungen der Ereignisse abzugeben – oder das, was sie dafür halten.

Untereinander kommunizieren sie nicht. Schwester Chrysothemis will nicht in Rachepläne verwickelt werden und lenkt immer wieder ab. Mutter Klytämnestra wird bei Bartels zur Trinkerin mit Berliner Dialekt, die ihre Augen vor den Tatsachen verschlossen hat. Um das zu verdeutlichen, sind die Puppenaugen zunächst zugeklebt. Tötete sie Agamemnon? Was war da abgelaufen? »Erst waret vorher. Dann waret vorbei. Hier stand ick. Da stand det Jift...«, lässt sie die Mutter sagen.

Elektra befragt sich und die Puppen immer neu und kommt zu keiner aufklärenden Antwort. Auch vom Geliebten der Mutter nicht. Der hält sich raus oder ist es gar nicht wert, befragt zu werden, weil er auch nur Instrument war. Bartels setzt sich auf diese Weise hier sehr gut mit der These auseinander, dass die Morde als emotional gesteuerte Beziehungstaten gar nicht rational zu erklären sind.

Bruder Orest lässt Bartels schließlich als durch ihren Arm lebendig gewordenes weißes Oberhemd auftauchen. Und es wird komisch, wenn sie – genervt von dem fruchtlosen Versuch, alles aufzuklären – auch noch anfängt, Obst und Gemüse auf dem Tisch in die Handlung zu verwickeln.

Denn trotz aller Tragik ist das Spiel in den 90 Minuten gut mit Humor gewürzt. Bartels Elektra wechselt sogar in kurzen Sequenzen zu Situationen in albernen Fernsehshows, bei denen vermeintliche Persönlichkeitstests eine Rolle spielen. Das führt natürlich zu nichts.

Auch wenn die Zuspitzung am Ende noch etwas lang gerät, ist diese »Elektra« eine fantasiereiche und gekonnt umgesetzte puppenspielkünstlerische Arbeit. Sophie Bartels, die ihr Puppenspielkunst-Studium 2007 an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« begann und mit dieser Arbeit abschloss, kann mit den besten Voraussetzungen ihre Arbeit im Ensemble des Theaters Plauen-Zwickau beginnen.

16.7., 21 Uhr, Brotfabrik-Bühne, Caligariplatz 1, Weißensee, Infos unter Tel.: (030) 471 40 01 / 02, www.brotfabrik-berlin.de

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