»Ich fühle mich nicht schuldig«

Wie die deutsche Kommunistin Roberta Gropper in NKWD-Haft um ihre Ehre und die der Partei kämpfte

  • Alexander Vatlin
  • Lesedauer: 8 Min.
Aufnahmen des NKWD von Roberta Gropper.

»Wir Kommunisten bewahrten unseren Mut und unsere Siegeszuversicht. Uns schreckte nicht, daß der Kampf in gewisser Weise von neuem begann. In der Partei hatten wir unseren Rückhalt, unseren Kraftquell. Wir scheuten nicht die kommenden Bewährungsproben.« (Roberta Gropper im
ND-Interview, 1988)
Aufnahmen des NKWD von Roberta Gropper. »Wir Kommunisten bewahrten unseren Mut und unsere Siegeszuversicht. Uns schreckte nicht, daß der Kampf in gewisser Weise von neuem begann. In der Partei hatten wir unseren Rückhalt, unseren Kraftquell. Wir scheuten nicht die kommenden Bewährungsproben.« (Roberta Gropper im ND-Interview, 1988)

Am 12. Juni 1941 verlässt eine hagere Frau mittleren Alters das Moskauer Butyrka-Gefängnis. Nun endlich ist sie wieder in Freiheit, nach dreieinhalb Jahren. Doch rechte Freude über die Entlassung will nicht aufkommen. Das Innenministerium der UdSSR hat in der Angelegenheit der deutschen Kommunistin Roberta Gropper eine für die Epoche des »Großen Terrors« seltene Entscheidung getroffen.

Roberta Gropper kann nicht begreifen, dass man sie, eine aktive Widerstandskämpferin, der Spionage für das faschistische Deutschland beschuldigt hat. 1897 in einer Arbeiterfamilie in Memmingen geboren, hatte sie zunächst über zehn Jahre in einer Zigarettenfabrik gearbeitet, ehe sie »Karriere« in der KPD machte. Sie war eine leidenschaftliche Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau, leitete 1930 die entsprechende Abteilung im ZK der KPD und wurde in den Reichstag gewählt. Gewiss, sie hatte – ihrem Mann Paul Langner folgend – mit der Gruppe um die Politbüro-Mitglieder Heinz Neumann und Hermann Remmele sympathisiert, die in den parteiinternen Auseinandersetzung 1932 unterlagen (und später, in der Sowjetunion, vom NKWD erschossen werden sollten). Roberta Gropper beschrieb ihre damalige Haltung später als die einer »Mitläuferin«. Eine aktive Kämpferin gegen das Thälmannsche ZK sei sie nie gewesen.

Erstes Indiz für Misstrauen

Auch wenn Roberta Gropper und Paul Langner nach der Abkanzlung der Neumann-Remmele-Gruppe als eine »parteifeindliche Fraktion« ihre Posten in der KPD-Führung eingebüßt hatten, konnten sie im Parteiapparat weiterarbeiten. Jedoch nur für kurze Zeit. Hitler wurde Reichskanzler in Deutschland. Erst musste Langner, dann auch Roberta Gropper das Land verlassen. Sie arbeitete in Paris im internationalen Hilfskomitee für die Opfer des deutschen Faschismus, bevor sie, erneut ihrem Mann folgend, in die Sowjetunion emigrierte. Ende Februar 1935 traf sie in Moskau ein, ihr Mann war schon im Vorjahr eingereist. Gemeinsames Glück war dem kommunistischen Paar im »Vaterland der Werktätigen« nicht gegönnt. Paul Langner starb am 17. Mai 1935. Roberta Gropper war jetzt allein. Ihre einzigen Familienangehörigen, ihre Mutter und ihre fünfjährige Tochter, waren in Deutschland zurückgeblieben. Nunmehr also wollte sie sich mit Leib und Seele ganz der Partei und dem Wohl des ersten sozialistischen Staates der Welt widmen. Vor allem aber dem Kampf gegen den deutschen Faschismus. Doch auch dies sollte ihr nicht vergönnt sein.

Ihre Beziehungen zur neuen, nach dem VII. Kongress der Kommunistischen Internationale 1935 gewählten KPD-Führung waren nicht reibungslos. Wilhelm Pieck entschied, dass sie nicht zur illegalen antifaschistischen Arbeit nach Deutschland geschickt werde. Als Vorwand galt ihr Gesundheitszustand. Doch dahinter steckte weit mehr. Dass die deutsche Sektion der Komintern sie nicht zur Übernahme in die KPdSU (B) empfahl, wie es eigentlich üblich war, war für Eingeweihte ein deutliches Indiz für Misstrauen. Durch Fürsprache der Moskauer KPD-Führung erhielt Roberta Gropper aber eine Anstellung als Redakteurin in der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter und eine Wohnung in der Gorkistraße.

Ab 1936 gehörte sie auch der Leitung der deutschen Sektion des Klubs ausländischer Arbeiter an. Zusammen mit der Ehefrau von Friedrich Wolf leitete sie das Frauenaktiv des Klubs. In dieser Funktion blieb ihr natürlich das Verschwinden von Kampfgefährten und Bekannten nicht verborgen. Und wie die anderen deutschen Politemigranten berichtete auch sie, von den Organen befragt, offen über ihre Kontakte zu Verhafteten oder bereits Angeklagten. Doch lieferte sie nie kompromittierendes Material gegen andere, sondern räumte höchstens eigene Fehlern oder politische Kurzsichtigkeit ein. Nachdem Anna Brunner, die Frau des sich schon in NKWD-Gewahrsam befindenden Hans Kippenberger, einstiger Leiter des Militärapparates der KPD, ebenfalls verhaftet worden war, erklärte sie: »Mir ist, als ob ich im Dunkeln tappe. Aus diesem Fall kann ich nur die Schlußfolgerung ziehen, mir die Genossen, mit denen ich zu tun habe, besser anzusehen und sich kritischer zu diesen zu verhalten.«

Just an dem Tag, an dem Heinz Neumann zum Tode verurteilt wurde, am 26. November 1937, wurde auch Roberta Gropper von der Geheimpolizei geholt. Die Wohnung Nr. 5 in der Gorkistraße wurde versiegelt. Ihre Nachbarn, ebenfalls Politemigranten, informierten die Kaderabteilung des Exekutivkomitees der Komintern. Diese sammelte nun Informationen über Roberta Gropper und gab sie an die Lubjanka, wo sich das Hauptquartier des NKWD befand, weiter. Das war die übliche, von den sowjetischen Behörden erwartete Prozedur.

In der Untersuchungshaft wurde Roberta Gropper vorgeworfen, während ihres Aufenthaltes in Paris Willi Münzenberg, den bei Stalin in Ungnade gefallenen kommunistischen Pressemogul, kontaktiert zu haben. Noch gefährlicher sollte sich ihre Bekanntschaft mit Heinz Neumann erweisen. Nicht nur die einstigen in Deutschland, sondern auch in Moskau. Er hatte ihr Manuskripte in den Verlag gebracht. In NKWD-Haft sagte er jedoch unter Folter aus, sie habe seiner »konterrevolutionären Organisation« angehört. Roberta Gropper gab hingegen zu Protokoll, dass ihre Kontakte nicht über geschäftliche Angelegenheiten hinausgingen. Doch dem Untersuchungsführer war das egal. Für ihn war es schon ein Sakrileg, wenn jemand überhaupt einen verhafteten »Feind des Volkes« persönlich kannte.

Roberta Gropper wehrte sich tapfer, auch gegen die Versuche der Ermittler, die deutsche Parteigeschichte umzuschreiben. »Während meines ganzen Parteilebens habe ich nie Gruppen oder Fraktionen angehört und hätte es auch in diesem Fall nie getan. Man beschuldigt mich aber, die Anschauungen von Neumann, geteilt zu haben … Ja, das ist wahr. Mit mir haben aber Tausende von Parteigenossen, meines Erachtens der größte Teil der Partei, diese Fehler mitgemacht. Im Kampfe gegen den Faschismus lautete die Losung: ›Schlagt die Faschisten‹ usw. Die Beurteilung, der Situation war nicht leicht. Blutige Angriffe der Faschisten, heimliche Meuchelmorde, wie sollte man antworten?«, schrieb Roberta Gropper, die natürlich um den Kurswechsel wusste, den die Komintern 1935 mit der Orientierung auf die Einheits- und Volksfront unternommen hatte. »Heute weiß ich es besser, dass Fehler gemacht wurden, auch im Kampfe um die sozialdemokratischen Arbeiter. Aber hatten wir im Jahre 1932 eine sozialdemokratische Preußenregierung, die zu allen Schandtaten gegen die Arbeiter bereit war? Die Situation war nicht einfach zu beurteilen. In der Partei gab es keine offene Diskussion, ja nicht einmal persönliche Diskussionen. Hätte es solche gegeben, wären die Fragen geklärt worden und ich hätte mich korrigieren können.«

Diese Zeilen stammen aus einem Brief, den sie im Gefängnis an den Generalsekretär der Komintern Georgi Dimitroff geschrieben hat. Er wurde dem bulgarischen Kommunisten nie zugestellt.

Damoklesschwert Ausweisung

Nach der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes am 23. August 1939 sollten sich in der Sowjetunion aufhaltende Deutsche ins »Dritte Reich« abgeschoben werden, darunter auch verhaftete Genossen. In der Butyrka wurden spezielle Zellen eingerichtet. Darin standen frisch bezogene Betten. Die Frauen erhielten saubere Wäsche, wurden aufgepäppelt, medizinisch betreut und durften sich die Haare wieder wachsen lassen. Dann wurden die Fotos für die Ausreisepapiere gemacht. Die der Gestapo ausgelieferten Genossen sollten anständig aussehen, kein schlechtes Licht sollte auf die Zustände im »Sowjetparadies« fallen.

In der Butyrka traf Roberta Gropper viele Frauen von KPD-Funktionären wieder, darunter die Frau von Heinz Neumann. Margarete Buber-Neumann hat die Wiederbegegnung beschrieben: »Ihr Gesicht war von grauer Gefängnisblässe, mit tiefen Rändern unter den Augen, und sie zermarterte sich das Gehirn. ›Weshalb geschah das alles? Habe ich mich durch irgend etwas schuldig gemacht?‹ Und einmal fragte sie mich: ›Wirst Du, wenn wir ins Ausland kommen, alles das, was du in der Sowjetunion gesehen und erlebt hast, den ausländischen Arbeitern erzählen?‹ Und als ich ihr antwortete, dass das unsere Pflicht sei und wir lange genug, zwar in Unwissenheit, die Handlanger der GPU gewesen seien, erwiderte sie mir mit zitternder Stimme: ›Um Gottes willen, tue das nicht! Du darfst den Arbeitern nicht ihre Illusionen, nicht ihre letzte Hoffnung rauben!‹«

Eigenartigerweise wurde Roberta Gropper im Gegensatz zu Margarete Buber-Neumann, die von den Nazis sogleich ins KZ Ravensbrück deportiert wurde, nicht ausgewiesen. Sie blieb in der Butyrka. Im März 1941 schrieb sie an den Leiter des Volkskommissariats für Staatssicherheit, Merkulow. »Die Untersuchung meines Falles wurde … am 13. Dezember 1938 eingestellt. Zwanzig Monate lang wurde ich nicht verhört. Am 16. September 1940 wurde mir mitgeteilt, dass ich wieder der Untersuchungsabteilung unterstellt bin … Meine Situation hier im Gefängnis ist schwerer als die der anderen Gefangenen. Ich bin völlig verzweifelt. Jeder Mensch kann Unglück, das ihn ereilt, ertragen, doch nur in Grenzen. Und an dieser Grenze meiner Kräfte befinde ich mich jetzt.«

Roberta Gropper hatte unwahrscheinliches Glück. Sie war zehn Tage vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion entlassen worden. Unter Kriegsbedingungen hätte sich sicher ein passender Paragraf im Strafgesetzbuch gefunden, um den unbequemen »Dauergast in der Butyrka«, dem nichts Konkretes nachgewiesen werden konnte und der so behaarlich jede Schuld von sich wies, anderweitig loszuwerden. Roberta Gropper begab sich zur Leitung der deutschen Sektion in der Komintern. Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck bemühten sich vergeblich um eine Einweisung der von der Haft gezeichneten Genossin in ein Sanatorium. Auch ein am 26. Juni 1941 von Ulbricht geschriebener Antrag an die Kaderabteilung des Exekutivkomitees der Komintern mit der Bitte, sie wieder in die politische Arbeit einspannen zu dürfen, fruchtete nicht. Roberta Gropper wurde in die Autonome Republik der Wolgadeutschen geschickt, quasi in die Verbannung, wo sie bis zum Ende des Krieges ausharren musste.

Ungebrochen im Glauben

Ihre Reaktivierung im Dienste der Partei verdankte sich welthistorischen Geschehnissen, dem Beginn des Kalten Krieges. Die Zahl der die faschistischen Konzentrationslager und Emigration überlebenden deutschen Kommunisten war überschaubar. Beim Aufbau eines neuen Deutschland in der sowjetischen Besatzungszone wurden viele Hände gebraucht. So konnte im Januar 1947 auch Roberta Gropper endlich in die Heimat zurückkehren.

Bereits fünf Tage nach ihrer Entlassung hatte die mutige deutsche Kommunistin einen Antrag auf Revision ihres Urteils an den Staatsanwalt der UdSSR gesandt; es war nicht ihr letzter, aber wie alle anderen vergeblich. Darin hatte sie geschrieben: »Ich brauche Ihnen nicht zu versichern, wie wertvoll mir die Freiheit nach 3 1/2jähriger Haft ist. Das Urteil jedoch in seinem Charakter spricht mich schuldig. Ich fühle mich aber nicht schuldig. Obwohl mir die lange Haft oftmals sehr schwer fiel, ertrug ich sie doch in der Hoffnung, dass durch gründliche Untersuchung sich meine Unschuld herausstellen wird. Ich erwarte meine völlige Rehabilitierung.«

Gefängnis und Verbannung hatten nichts an ihrer politischen Überzeugung und Haltung zur Sowjetunion geändert. Gegenüber einem SED-Funktionär erklärte sie einmal: »Auch wenn man sich in der UdSSR mir gegenüber ungerecht verhalten hatte, habe ich eine gute Meinung von ihr.« Den Sozialismus und die DDR hat sie überlebt. Roberta Gropper ist 1993 in Berlin gestorben.

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