Rote Linie längst überschritten

Was der Stresstest für den Bahnhof Stuttgart 21 beweisen sollte

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass der Test von Stuttgart 21 die Tauglichkeit des umstrittenen Bahnhofsprojekts ergeben hat – nach den Kriterien der Bahn. Was ist damit bewiesen?

Stresstest ist zum Modewort geworden. Heiner Geißler (CDU) übernahm den Begriff aus der Finanzwelt während der Schlichtung um den geplanten unterirdischen Hauptbahnhof Stuttgart. Tatsächlich ist damit die Kapazitätsberechnung der Bahnanlage gemeint. Solche Berechnungen lernt jeder Student, der die Technologie des Eisenbahnbetriebes lernt. Wie viele Gleise für eine bestimmte Anzahl von Zügen notwendig sind, soll ermittelt werden. Vielerlei ist zu berücksichtigen: Die Zeit, die zwischen der Einfahrt eines Zuges vergeht, bis er den Bahnhof verlassen hat. Wie viele Züge können gleichzeitig ein- und ausfahren? Welcher Aufenthalt ist zu berücksichtigen, damit die Anschlusszüge erreicht werden, beispielsweise der ICE auf die Zubringerzüge warten muss? Auch Zeitzuschläge, um Verspätungen abzufangen.

Der Reisende erwartet einen Taktfahrplan mit festen Abfahrtszeiten, kurze Übergangszeiten und gute Anschlüsse. 10 Minuten Reisezeit auf der künftigen Schnellbahn Ulm – Stuttgart und 40 Minuten Warten auf den Anschlusszug wären eine Lachnummer. Dass in Stuttgart alle Züge fast gleichzeitig ankommen und so wieder abfahren, wie man es von einem »Taktknoten« erwartet (Vorbild: Zürcher Hauptbahnhof), ist bei der projektierten Anlage unmöglich.

Die Landesregierung hatte für den bestehenden Grundtakt (»Drei-Löwen-Takt«) stündlich 26 Züge vorgegeben, zu Spitzenstunden 41 Züge, weitere acht Züge als Sonderkondition. Die Deutsche Bahn ließ durchsickern, dafür reichten nach ihren Berechnungen sechs Gleise aus. 49 Züge bei acht Gleisen bedeuten mehr als sechs Züge je Gleis und Stunde. Das allein ist kein Kriterium für hohe Betriebsqualität. Die Projektgegner argumentierten, es sei eine »schlechte Betriebsqualität« zu erwarten. Sie denken weniger an Zugzahlen als an den Gewinn für den Bahnreisenden. Für jeweils sieben Züge in den Spitzenstunden sei kein Platz. Von dem angeblichen Reisenden zwischen Paris nach Bratislava, der die Durchfahrt in Stuttgart braucht, wie die vormalige Landesregierung argumentierte, hört man nichts mehr. Dafür geht es jetzt um »unlösbare Trassenkonflikte« durch eine schienengleiche Kreuzung bei der Einfädelung der Wendlinger Kurve.

Das Schweizer Ingenieurbüro SMA, das die Berechnungen der Deutschen Bahn am Computer prüfte, hatte seine Schwierigkeiten. Bis zuletzt war von offenen Fragen die Rede, die zunächst für den 14. Juli angesetzte Präsentation des Stresstest-Ergebnisses wurde verschoben. Sie soll nun in der nächsten Woche stattfinden. Das Aktionsbündnis gegen S 21 hat abgesagt, will nicht als Staffage dienen. Eine berechtigte Sorge: Sollten nicht schon am 15. Juli, am Tag nach der Präsentation, die Bauaufträge vergeben werden? Unbeirrt verkündete Netz-Vorstand Volker Kefer von der Bahn: »Wir halten am Fahrplan fest, die Bindefrist der Angebote läuft bis zum 31. Juli!« Ist der Stresstest nur eine Farce? Hatte Bahnchef Rüdiger Grube nicht den 15. Juli als Rote Linie bezeichnet: »Bis hierhin und nicht weiter!«? Nun stellt sich das als pure Drohung heraus. Die harte Linie macht das Unternehmen nicht sympathisch, wie Grube das einmal wollte, sondern unglaubwürdig.

Ohnehin taugt der Stresstest nur, wenn man die Kapazität des neuen mit dem bestehenden Kopfbahnhofs vergleicht. Der hat 16 Bahnsteiggleise und verarbeitete in den siebziger Jahren stündlich bis zu 57 Züge. Mit viel weniger Geld als für das Projekt Stuttgart 21 hätte mehr erreicht werden können.

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