Ein Tropfen auf den heißen Stein

Shabaab-Miliz verhindert, dass in Südsomalia ausreichend Hilfe für die Hungernden ankommt

  • Kristin Palitza
  • Lesedauer: 3 Min.
Die militant islamische Gruppe Al-Shabaab hemmt weiterhin den Zugang von Hilfsorganisationen zu den Bedürftigen im Süden Somalias, wo Zehntausende dem Hungertod nahe sind. Die vereinzelten Krisenhelfer, die sich in von der Al-Shabaab-Miliz kontrollierte Gebiete vorwagen, berichten von einer »grauenhaften Tragödie«.

Täglich gibt es neue Reporte von hunderten Toten. Mittlerweile sind die meisten Menschen zu schwach, um sich nach Kenia zu retten. Aus Verzweiflung wandern viele in Richtung der kriegszerstörten Hauptstadt Mogadischu, obwohl dort neue Kämpfe zwischen Al-Shabaab und Soldaten der Afrikanischen Union (AU) und der somalischen Regierung ausgebrochen sind.

Somalias Präsident Scheich Scharif Scheich Ahmed besuchte die AU und Regierungstruppen am Sonntag, nachdem diese drei strategische Standorte Al-Shabaabs erobert hatten. Ahmed sagte, es sei das Ziel der Auseinandersetzungen, Transportwege für Hilfsgüter zu sichern.

Rund 3.7 Millionen Somalis, ein Drittel der Bevölkerung, hungern. In den von Al-Shabaab kontrollierten Gebieten im Zentrum und Süden des Landes sollen 2,2 Millionen vom Sterben bedroht sein.

Al-Shabaab weigert sich, das Verbot für Hilfsorganisationen aufzuheben, die es »einer geheimen Agenda« anklagt. Die Al-Qaida nahestehende Gruppe behauptet, die Vereinten Nationen übertreiben das Ausmaß der Dürre und politisieren die Krise.

Die Einsätze von Hilfsorganisationen werden seit Langem von der militanten Gruppe eingeschränkt. Im Februar 2010 verwies Al-Shabaab das UN Welternährungsprogramm (WFP) und drei weitere Hilfsorganisationen mit der Behauptung aus dem Land, sie verbreiteten christliche Propaganda.

Somalia ist eindeutig das gefährlichste Land für Krisenhilfe: In 2008 wurden 37 Entwicklungshelfer getötet – laut Angaben der Europäischen Kommission zwei Drittel der Gesamtzahl solcher Tode weltweit, .

Die wenigen Hilfsorganisationen, die derzeit hier im Einsatz sind, müssen mit äußerster Vorsicht vorgehen. Maulid Warfa, Krisenspezialist des Kinderhilfswerks UNICEF, der in Zentral-Somalia stationiert ist und eine Gruppe von Krisenhelfern koordiniert, die regelmäßig in den Süden reisen, sagt, er müsse täglich mit Al-Shabaab über den Zugang zu hilfsbedürftigen Dörfern verhandeln.

»Wir versuchen, weniger radikale Mitglieder der Gruppe sowie einflussreiche Ältestenräte und Geschäftsleute von der Not der Menschen zu überzeugen«, erklärte Warfa. Einige Anführer Al-Shabaabs seien offener als andere, vor allem wenn es um die Rettung von Kinderleben gehe. In einigen Gebieten hätten die Verhandlungen daher Erfolge gezeigt, so Warfa.

Eine Stichprobenuntersuchung von UNICEF bei 100 Kindern im Süden Somalias ergab, dass 48 akut unterernährt und 39 unterernährt sind. »Nur elf von hundert Kindern hatten ein halbwegs normales Körpergewicht«, sagte Warfa. »Mittlerweile sterben nicht nur Kinder, sondern auch alte Menschen, Kranke und Mütter.«

»Die Situation ist extrem tragisch«, fügte er hinzu. »Mütter sind zu schwach, um ihre Kinder zu tragen und müssen sie zurücklassen.«

Die Hilfe, die Al-Shabaab zulasse, sei »ein Tropfen auf den heißen Stein«, so Warfa. »Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Doch die Not ist massiv«.

Ohne Genehmigung der islamischen Milizen bleibe ein Vordringen in den Süden weiterhin unmöglich. »In Al-Shabaab-Hochburgen herrscht Gesetzlosigkeit. Sie ohne Erlaubnis zu betreten ist ein Risiko, das niemand eingehen kann«, warnte Warfa.

Während Hilfsorganisationen versuchen, mit Al-Shabaab zu verhandeln, bleiben Zehntausende von lebensnotwendiger Hilfe abgeschnitten. Abgesehen von den Flüchtlingen, die es über die Grenze geschafft haben, seien mehr als 50 000 Familien innerhalb Somalias vertrieben, so UNICEF. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als Richtung Norden zu wandern.

Es ist daher äußerst wichtig, dass in Mogadischu Frieden hergestellt werde. »Wenn wir im Norden des Landes eine voll ausgereifte Krise wie im Süden verhindern wollen, darf die Nahrungsmittelhilfe nicht abreißen«, sagte Melanie Brooks, Pressesprecherin von CARE International, einer der wenigen Hilfsorganisationen, die in Somalia tätig sind. »Wir haben nur sehr wenig Zeit, um zu verhindern, dass auch im Norden massenweise Menschen verhungern.«

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