Folterhölle in einem Badehaus

Das Geheimdienstgefängnis der Briten in Bad Nenndorf 1946/47

  • Utz Anhalt
  • Lesedauer: 4 Min.
An diesem 6. August marschieren wieder Neonazis durch das niedersächsische Bad Nenndorf, um der »Folteropfer der Alliierten« zu gedenken. Der britische Geheimdienst hatte 1946 im Wincklerbad in Bad Nenndorf ein Verhörgefängnis eingerichtet. Ursprünglich vorgesehen für Nazis, wurden hier zunehmend Kommunisten eingeliefert. Es kam zu Misshandlungen von Gefangenen. Neonazis missbrauchen diese Vorfälle, um die Rolle von Tätern und Opfern ins Gegenteil zu verkehren. Regelrecht widersinnig ist ihre Behauptung, die Übergriffe seien »verschwiegene Wahrheiten«.

Das Gefängnis in Bad Nenndorf war kein gewöhnliches Internierungslager. Denn dort sollten durch Verhöre von höheren Nazis Informationen über möglicherweise geplante Sabotageakte oder Guerilla-Aktionen der »Werwölfe« gegen die Besatzungstruppen erlangt werden. Auch sollten vermentliche Angehörige fremder Geheimdienste abgeschöpft und gegebenenfalls »umgedreht« werden. Den Gefangenen war der Kontakt zur Außenwelt strikt untersagt, selbst der Briefverkehr mit Angehörigen war verboten.

Der vermutlich bedeutendste Häftling in Bad Nenndorf war Oswald Ludwig Pohl, der nach Himmler wichtigste Mann der SS, Organisator und Vollstrecker im Holocaust. Die Briten hatten ihn am 27. Mai 1947 bei Verden an der Aller aufgegriffen. Als Leiter des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes der SS war er an der Ermordung der europäischen Juden beteiligt. Unter seinem Kommando begann der industrielle Bau der Gaskammern. Pohl war zudem zuständig für die wirtschaftliche »Verwertung« der den Juden abgenommenen Wertgegenstände, bis hin zum Zahngold der Toten. Zu den hochrangigen NS-Häftlingen in Bad Nenndorf gehörten die Pilotin Hanna Reitsch, der Diplomat Carl Werner Dankwort, Hitlers Pressechef Otto Dietrich, Propagandaleiter Kurt Parbel und Hitlers Adjudant Nicolaus von Below.

Zum Jahreswechsel 1946/47 richtet sich die Tätigkeit des britischen Secret Service nicht mehr gegen vermeintliche NS-Widerstandsgruppen, sondern gegen die Sowjetunion. Die Briten inhaftierten jetzt deutsche und ausländische Kommunisten, von denen sie sich Informationen über die Sowjetunion bzw. die sowjetische Besatzungsmacht erhofften. Der Secret Service verhaftete zum Beispiel Wilfred Busch vom Ost-Büro der SPD. In Gewahrsam nahmen die Briten u. a. auch einen desertierten Oberstleutnant der Roten Armee, einen polnischen Tierarzt, der gegen die Deutschen und die Russen gekämpft hatte, eine Ukrainerin, die als Flakhelferin für die Deutschen gearbeitet hatte, Alexander Kalkowski, Hauptmann der sowjetischen Geheimpolizei, vier Ingenieure der Junkers-Siebel Werke, die aus der sowjetischen Zone geflohen waren, sowie SS-Obersturmbannführer Hans Hoffmann, der in der SBZ Häftlinge bespitzeln sollte. Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe war von den anderen Häftlingen getrennt.

Zu den Gefangenen in Bad Nenndorf gehörte auch Heinz Biedermann, dessen Vater ein überzeugter Kommunist war. Er verlor in der Haft 20 Kilogramm Gewicht und litt an Ödemen; zu den körperlichen Schäden kamen Depressionen infolge der strengen Isolation, des Schlafentzugs und der Unterkühlung. An den Folgen der Misshandlungen starb der Homosexuelle Franz Österreicher, der mit gefälschten Papieren aus der Sowjetzone in den Westen übergewechselt war, um seinen Liebhaber zu besuchen; die Briten vermuteten in ihm einen russischen Spion.

Ein bitterer Fall, der Einblick in die Abgründe der Geheimdienstarbeit gibt, ist das Schicksal von »Slim« Ebeling. Laut dem jetzt freigegebenen Geheimbericht eines britischen General-Majors der Chief Intelligence Divison wurde Ebeling als ein an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von 1944 beteiligter SS-Offizier von den Polen gesucht Sie fragten bei den US-Amerikanern um Auslieferung an. Gleichwohl wurde Ebeling regulärer Agent des US Counter-Intelligence Corps mit der zusätzlichen Aufgabe, auch andere Nazis für den Dienst zu rekrutieren.

Am 20. Januar 1947 gab es große Verwirrung, denn nunmehr forderte der US-General Burress plötzlich die Verhaftung von Ebeling – jedoch nicht, um ihn an die Polen auszuliefern, sondern weil er ihn verdächtigte, ein Doppelagent zu sein. Bei der Festnahme schlug der kräftige Mann wild um sich; erst als ein Geheimdienstoffizier ihm in den Fuß schoss und ein anderer ihn mit einem Schlagstock traktierte, konnte Ebeling überwältigt werden.

Der Bewusstlose wurde nach Bad Nenndorf gebracht. Bei der Ankunft sei er, so der Bericht, bereits tot gewesen. Die britische Geheimdienstführung informierte Colonel Inskeep vom US-CIC. Man kam überein, Ebeling mit militärischen Ehren bestatten zu lassen. Ein entsprechender Befehl erging an den Leiter des Verhörzentrums, Robin Stephens. Auf dem Grabstein in Bad Nenndorf steht jedoch nicht Ebelings Name, sondern: »John X White, born 1. 8. 1911, died 17. 1. 1947«.

Nachdem einem katholischen Geistlichen, Vikar Magar, Fälle von Misshandlungen in Bad Nenndorf zu Gehör gekommen sind, mussten die Briten schließlich handeln. Magar hatte Protokolle angefertigt, die er dem Bischof von Hildesheim schickte. Der kam persönlich nach Bad Nenndorf und hörte sich die Geschichten der Gefangenen an. Die daraufhin angefertigten Berichte schickte er dem englischen Kardinal Griffy, der seinerseits nun die Öffentlichkeit in Großbritannien und insbesondere das britische Parlament informierte.

Der Labour-Unterhausabgeordnete Richard Stokes reiste nach Deutschland und befragte Insassen des Verhörzentrums in Bad Nenndorf über erlittene Misshandlungen. Inspektor Tom Hayward von Scotland Yard schickte einen Bericht über die Zustände an die britische Militärregierung in Deutschland. Nun endlich wurde das Gefängnis in Bad Nenndorf geschlossen. Vier Offiziere wurden wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt, doch nur der Lagerarzt John Stuart Smith wurde wegen Vernachlässigung von Gefangenen schuldig gesprochen und aus der Armee entlassen. Stephens blieb Offizier des MI 5, des britischen Geheimdienstes.

Haben die Neonazis also recht, wenn sie »Verbrechen der Alliierten gegen die Menschlichkeit« anprangern? Was in Bad Nenndorf geschah, waren Übergriffe, wie sie von diversen Männerbünden weltweit praktiziert werden, auch heute noch. Die Misshandlungen fanden nicht mit Billigung der britischen Regierung statt. Nach dem Prozess wurden Richtlinien für Verhörmethoden des britischen Geheimdienstes ausgearbeitet.

Utz Anhalt/Steffen Holz: Das verbotene Dorf. Das Verhörzentrum Wincklerbad der britischen Besatzungsmacht in Bad Nenndorf 1945 bis 1947. Offizin Verlag, 2011. 191 S., br., 9,80 €.

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