Reinickendorf ohne Gemeinschaftsschule

Trotz Popularität scheitert die Einrichtung an der CDU / Schulstadträtin unter Druck

  • Sonja Vogel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es klingt nach einem Vorzeigeprojekt: Die Hannah-Höch-Grundschule und die Greenwich-Oberschule, eine integrierte Sekundarschule, möchten sich zur ersten Gemeinschaftsschule in Reinickendorf zusammenschließen. Diesen Antrag unterstützen die schulischen Gremien, der Bezirksschulbeirat, der Elternausschuss, die Mehrheit der Bezirksverordnetenversammlung, Gewerkschaften und Betriebe machen sich dafür stark. Aber bisher ist das Projekt an der CDU gescheitert.

»Wir haben alle mitgenommen – bis auf unsere zuständige Stadträtin«, bedauerte am Dienstag der Leiter der Hannah-Höch-Schule, Michael Tlustek. Gemeinsam mit der Leiterin der Greenwich-Oberschule, Suzann Hasse, und Günter Peiritsch vom Landeselternausschuss hatte er zu einer Podiumsdiskussion in die Schulmensa geladen. Der Andrang war groß. Auf dem Podium saßen die bildungspolitischen Sprecher von SPD, LINKE, Grünen, CDU und FDP. Auch Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt war gekommen – ein mutiger Schritt, gilt sie doch denen, die für die Gemeinschaftsschule kämpfen, als Blockiererin. Entsprechend der verfahrenen Lage ging es laut zu zwischen Gegnern und Befürwortern.

Die Hannah-Höch-Schule, gelegen im »sozialen Brennpunkt« Märkisches Viertel, gilt als Musterbeispiel einer Ganztagsschule, an der jahrgangsübergreifend gelernt wird: 60 Prozent der Kinder haben eine nichtdeutsche Muttersprache, 55 Prozent leben von Transferleistungen. Trotzdem bekommt rund die Hälfte der Schüler eine Gymnasialempfehlung. »Die herkömmlichen Schulen erreichen Kinder aus bildungsfernen Schichten nicht«, ist Tlustek überzeugt. Dazu brauche es eine Schule, in der das gemeinsame Lernen nach der 6. Klasse nicht aufhört. »Wir wünschen uns, dass dieses tolle pädagogische Projekt weitergeführt wird«, sagte eine Lehrerin der Greenwich-Schule. Sie bekam viel Applaus.

Schulstadträtin Schultze-Berndt lässt die guten Erfahrungen der Schule nicht gelten. Für sie ist das Jahrgangsübergreifende Lernen (JÜL) gescheitert. Der Beweis: In den betreffenden Schulen überspringe nur jedes 100. Kind eine Jahrgangsstufe, während bis zu jedes sechste sitzen bleibe. »Es gelingt den Lehrern nicht, die schwachen Kinder mitzunehmen, und die Starken bleiben auf der Strecke«, so Schultze-Berndt. Schulleiterin Hasse hält dagegen. In ihrer Schule gäbe es viele Hochbegabte, die im regulären System längst abgehängt worden wären. »Das ist aber nicht die Anne, die alle mit ihrem Geigenspiel beglückt, sondern Kevin, der uns das Leben schwer macht.«

Schultze-Berndts Hauptargument ist ein anderes: Gemeinschaftsschulen dürfen ein Drittel ihrer Schüler von außerhalb des Einzugsbereichs aufnehmen. »Wie erklären Sie den anderen Schulen, dass sie nun mehr Schüler aufnehmen müssen?« Schon jetzt habe Reinickendorf Schwierigkeiten, die Kinder zu versorgen. »Das Problem ist hier 18 Schüler groß«, konterte Günter Peiritsch. Zudem sei es ein gutes Zeichen, wenn auch Schüler von außerhalb sich interessierten. »Es gibt Einzelfälle, bei denen nicht differenzierte Lernmethoden funktionieren«, gab Schultze-Berndt zu. »Deshalb die Schulform zu ändern, ist falsch.« Von den Argumenten der zuständigen Stadträtin hielt die Mehrheit von Zuhörern und Podiumsdiskutanten wenig – sie warfen ihr Ideologie vor. »Für die CDU ist diese Schule des Teufels!«, rief Öczan Mutlu von den Grünen.

Tatsächlich gerät Katrin Schultze-Berndt in Reinickendorf zunehmend unter Druck. Nun versprach Helmut Morent, Firmenchef eines der größten dort ansässigen Unternehmen, eine Ausbildungsplatzgarantie für 100 Schüler pro Jahrgang: »Uns ist es egal wie die Schule dann heißt, wir wollen das System.« Dass die Schulstadträtin selbst dieses Angebot in den Wind schlägt, halten viele Reinickendorfer für unverzeihlich.

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