»Zerschlagen Sie nicht die S-Bahn«

Was tun mit dem krisengeschüttelten Unternehmen?

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit mehr als zwei Jahren müssen S-Bahn-Fahgäste mit ausfallenden, verkürzten und vollen Zügen leben. Die Parteien haben unterschiedliche Lösungsvorschläge.
Radkontrolle in der S-Bahn-Betriebswerkstatt Grünau
Radkontrolle in der S-Bahn-Betriebswerkstatt Grünau

Heiner Wegner ist empört. »Kein S-Bahner wird Ihre Partei wählen«, schleuderte er bei einer Podiumsdiskussion der Berliner Verkehrsexpertin der Grünen, Claudia Hämmerling, entgegen. Wegner ist Meister in der S-Bahn-Werkstatt Friedrichsfelde, und was ihn so aufregte, war das Wahlplakat der Grünen mit der umgekippten S-Bahn und dem Slogan »Da müssen wir ran!«, das ausgerechnet auch vor dem Ort aufgehängt wurde, wo er und seine Kollegen für die Zukunft der S-Bahn ackern. So, als seien die S-Bahner zu unfähig, das Unternehmen aus der Krise zu fahren. Wegner und seine Kollegen fühlen sich in ihrer Ehre verletzt.

Der große Aufreger bei den Fahrgästen ist die S-Bahn aber nicht mehr. Nachdem mangelnde Wartung, unausgereifte Technik sowie Hitze und Kälte zeitweilig dafür gesorgt hatten, dass bis zu zwei Drittel der aus 650 Doppelwagen bestehenden Flotte des Unternehmens lahm gelegt waren, können derzeit wieder 459 dieser Viertelzüge auf die Gleise gebracht werden. Ab Ende Oktober sollen es 480 sein, dann wird auch die seit zwei Jahren stillgelegte Linie S 45 zum Flughafen Schönefeld wieder in Betrieb gehen. Ziel ist, dass bis Jahresende 500 Viertelzüge fahren. Die Zeit der Notfahrpläne wäre dann vorbei, wenn auch die Fahrgäste weiterhin in zum Teil verkürzten Zügen Platz finden müssten.

Die S-Bahn nähert sich also dem Normalbetrieb, weil die vor zwei Jahren eingesetzte neue Geschäftsführung die Sparmaßnahmen rückgängig gemacht hat, viel Geld in die Umrüstung der Wagen investiert und die Belegschaft mitzieht. Trotzdem ist die Zukunft des Unternehmens ungewiss. Denn 2017 endet der Verkehrsvertrag mit dem Land Berlin, und nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre wird die Deutsche Bahn nicht automatisch erneut den Zuschlag zum Betrieb der S-Bahn erhalten. Der Senat prüft schon geraume Zeit, ob der neue Betreiber über eine Ausschreibung von Teilnetzen, wodurch auch private Unternehmen zum Zuge kommen könnten, oder per Direktvergabe an ein landeseigenes Unternehmen bestimmt werden soll. Weil sich SPD und LINKE nicht einigen konnten und das Thema auch innerhalb der SPD umstritten war, wurde die Entscheidung auf die Zeit nach der Wahl verschoben.

Die Berliner können also am 18. September auch darüber abstimmen, ob sie künftig eine kommunal oder privat betriebene S-Bahn fahren wollen. Denn diese unterschiedlichen Positionen vertreten auch die Parteien: Grüne und FDP verlangen die Ausschreibung einzelner Strecken, die CDU möchte die Bahn per Sanierungsvertrag stärker in die Pflicht nehmen und wenn nötig die S-Bahn nur als Ganzes ausschreiben, während SPD wie LINKE die S-Bahn unter kommunalen Einfluss bringen wollen.

»Eine (Teil-)Ausschreibung der Berliner S-Bahn lehnen wir ab«, steht im Wahlprogramm der SPD. Man wolle nicht, dass vielleicht ein französischer Atomkonzern den Betrieb übernimmt, sagt deren verkehrspolitischer Sprecher Christian Gaebler. Er kann sich die Vergabe an ein landeseigenes Unternehmen, aber auch erneut an die Deutsche Bahn vorstellen. »Die muss jetzt erst mal wieder einen vernünftigen Betrieb hinkriegen und neue Wagen anschaffen, die dann auch einem anderen Betreiber zur Verfügung stehen. Dadurch muss das Land diese Millionenbeträge nicht selbst aufbringen.« Die Grünen wollen eine Ausschreibung einzelner Netze, etwa der Ringbahn oder der Nord-Süd-Strecken, weil der Senat »verpflichtet ist, Steuergelder sparsam einzusetzen, und das geht nur durch Wettbewerb«, ist die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling, überzeugt. Ebenso ihr FDP-Kollege Klaus-Peter von Lüdeke: »Wir brauchen Wettbewerbsdruck, damit eine vernünftige Leistung herauskommt.«

Ein kommunales Unternehmen könne es genauso gut wie ein privates, das beweise die BVG, sagt die Verkehrsexpertin der LINKEN, Jutta Matuschek. Und es brauche auch keine Gewinne an einen Mutterkonzern abführen, der Grund allen S-Bahn-Übels. Die Aufteilung des Betriebs an einzelne private Anbieter wäre nur alter Wein in neuen Schläuchen, heißt es im LINKE-Wahlprogramm. Was man bei der CDU überraschenderweise ähnlich sieht. »Es ist nicht notwendig, alle Organe rauszureißen, wenn der Patient was am Blinddarm hat«, lautet die Diagnose ihres Abgeordneten Oliver Scholz. Eine Ausschreibung des Betriebs sei nicht notwendig, »denn wir kennen jetzt die Ursachen«. Die S-Bahn müsse zusammengehalten werden, »sonst stürzt alles ins Chaos«.

Das ist ganz im Sinne von Heiner Wegner. »Zerschlagen Sie nicht die S-Bahn«, appelliert er an die Parteien.

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