Mord mit Rätsel

Der neue Roman von Ferdinand von Schirach

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 2 Min.

Fabrizio Collini, Rentner und Gastarbeiter der ersten Stunde, lebt ein unauffälliges Leben im baden-württembergischen Böblingen. Ohne Freunde und Verwandte. Doch dann tötet er in der Suite eines Berliner Nobelhotels am Brandenburger Tor einen 85-jährigen Industriellen. Mord aus Habgier oder krankhafter Lust? Wurde der Täter vom wohlhabenden Opfer bei einem Einbruch überrascht? Collini gesteht die Tat und bekennt sich zu ihr. Der Fall scheint klar. Doch was trieb den alten Mann mit italienischen Wurzeln zu diesem Exzess? Ein Motiv ist nicht erkennbar. Collini schweigt. Sein Pflichtverteidiger Caspar Leinen kennt das Opfer seit seiner Kindheit. Als freundlichen, warmherzigen Menschen hat er ihn in Erinnerung. Umso unverständlicher die Bluttat. Leinen begibt sich auf Spurensuche und stößt auf ein dunkles Geschehen in einer Jahrzehnte zurückliegenden Zeit.

Der Autor, der Berliner Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach, sucht nicht nur Antwort auf die Frage nach dem oft so tiefen Spalt zwischen Recht und Gerechtigkeit, er weist auf ein bis heute unbewältigtes Stück deutscher Justizgeschichte hin: Die Verbrechen der Wehrmacht und der Umgang mit den Tätern in der Nachkriegsbundesrepublik. Ein Paragrafenschutzschirm wurde um Kriegsverbrecher errichtet, harmlos daherkommende Gesetze, die eine Verfolgung von Mördern schnell unmöglich machten. Soldaten haben für das Vaterland gekämpft, Befehle erfüllt. Sonst nichts.

Noch heute wird beispielsweise auf der schönen Insel Sylt verbissen und voller Überzeugung geschwiegen, wenn es jemand wagen sollte, Fragen nach dem langjährigen Bürgermeister von Westerland, Heinz Reinefarth, zu stellen. Ein Ehrenmann, einer, der immer nur seine Pflicht erfüllt hat – SS-Gruppenführer Reinefahrt, der Henker von Warschau, schuldig der Ermordung von 15 000 Zivilisten. Er ist nie verurteilt worden, also ist er unschuldig. Wehe, wer daran rüttelt.

Auch von Schirachs Hauptperson, Caspar Leinen, muss die Erfahrung machen, dass man es gar nicht mag, wenn »alte Geschichten« wieder ins Bewusstsein zurückgeholt werden. Als Anwalt schafft er das Unmögliche: die Wende in dem Prozess gegen Collini. Bei der Kaste, der er angehört, fällt er in Ungnade. Tragik der Wirklichkeit. »Der Fall Collini« ist das dritte Buch von Schirachs. In den ersten Beiden beschreibt er authentische Fälle aus seiner Arbeit als Strafverteidiger. Das dritte nun ein Kriminalroman. Schirach formuliert präzise, sachlich, er sucht nicht nach krimitypischen Tricks, um die Leser zu fesseln. Er erzählt einfach eine Geschichte – schnörkellos, atemberaubend.

Die Buchpremiere findet am 12. September um 20 Uhr im Renaissance Theater, Knesebeckstr.100, statt. Karten: 16 Euro., »Der Fall Collini«, Ferdinand von Schirach, 195 Seiten, Piper Verlag

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