Die totale Überwachung

  • Halina Wawzyniak
  • Lesedauer: 4 Min.
Halina Wawzyniak, Jahrgang 1973, ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN und stellvertretende Parteivorsitzende.
Halina Wawzyniak, Jahrgang 1973, ist Bundestagsabgeordnete der LINKEN und stellvertretende Parteivorsitzende.

Die im Rahmen eines Staatsvertrages beschlossene Einführung der elektronischen Fußfessel ist populistisch. Sie spielt mit den Ängsten in der Bevölkerung, verstößt gegen Menschenrechte und suggeriert Lösungen, die keine sind. Zudem eröffnet sie die Möglichkeit der Privatisierung des Strafvollzugs, weil vielerorts erwogen wird, die Überwachung der Straftäterinnen und Straftäter von Privatfirmen durchführen zu lassen. Aus all diesen Gründen bin ich eine Gegnerin der Fußfessel.

Worum geht es? Die elektronische Fußfessel soll bei Straftäterinnen und Straftätern nach deren Entlassung aus dem Strafvollzug eingesetzt werden, und zwar nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass von ihnen gefährliche Straftaten ausgehen. Der Begriff »Gefährliche Straftaten« ist dehn- und auslegbar. Deshalb wurde sicherheitshalber hinzugefügt, dass Sexual- und Gewaltstraftaten gemeint seien. Die in dem Begriff enthaltene Unbestimmtheit ist kritisch zu bewerten.

Das Strafgesetzbuch (StGB) kennt gemeingefährliche Straftaten. Zu diesen gehören u.a. Brandstiftung, Herbeiführen einer Überschwemmung, gemeingefährliche Vergiftung und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Die Aussage, die Fußfessel solle nur bei »gefährlichen Straftaten« zum Einsatz kommen, dient mit dem Hinweis auf Sexual- und Gewaltstraftaten also lediglich dazu, die Fußfessel mehrheitsfähig zu machen und ihrer noch breiteren Anwendung den Boden zu bereiten.

Wie also soll nach den Vorstellungen der Befürworter dieses Überwachungsmittels mit Straftäterinnen und Straftätern nach deren Entlassung verfahren werden? Sie bekommen eine Fußfessel, die sie nicht selbst abnehmen können. Sobald sie eine »verbotene Zone« (hier werden immer wieder Schulen und Kitas genannt) betreten, wird Alarm geschlagen, der die Polizei auf den Plan ruft, die dann einschreiten soll. Dies ist noch keine Totalüberwachung, aber es ist der erste Schritt in diese Richtung. Denkbar ist nämlich auch eine Fußfessel, die in einem bestimmten Abstand Signale an die Überwachungszentrale sendet, wodurch man jederzeit wüsste, wo sich der oder die ehemalige Stratftäter/in befindet.

Aber auch wenn noch keine derartige Totalüberwachung mit Hilfe der Fußfessel stattfindet, bleibt, dass einstigen Straftäterinnen und Straftätern von vornherein unterstellt wird, sie begingen nach der Entlassung weitere Straftaten. Diese Art der Vorverurteilung und des Vorurteils ist nicht akzeptabel. Eine solche Überwachung ist in einer freien Gesellschaft nicht tolerierbar! Und sie ist zugleich auch nicht mit unserem Strafrechtssystem vereinbar. Mit dem Absitzen einer Strafe ist die Schuld verbüßt. Dieser Grundsatz wird mit dem Einsatz der elektronischen Fußfessel eklatant verletzt.

Der Auftrag der Gesellschaft ist es, im Anschluss an das Verbüßen einer Strafe für eine Resozialisierung des Straftäters oder der Straftäterin zu sorgen. (Eigentlich soll dies schon im Strafvollzug geschehen, aber in der Praxis passiert das dort so gut wie nie.) Eine Fußfessel wirkt dieser Resozialisierung jedoch entgegen. Sie stigmatisiert den Menschen, und dadurch wird die Wiedereingliederung erheblich erschwert. Man stelle sich nur vor, der oder die Betroffene löst einen Alarm aus, weil er oder sie sich in einer ihm oder ihr unbekannten Stadt befindet und unbeabsichtigt eine »verbotene Zone« betritt.

Resozialisierung – Wiedereingliederung in die Gesellschaft also – bedeutet hingegen, den betroffenen Menschen die Möglichkeit einzuräumen, ein normales Leben zu führen. Mit einer Fußfessel ist dies nicht möglich.

Ein ebenso schwerwiegendes Argument ist in meinen Augen, dass die Fußfessel eine Lösung suggeriert, aber keine Lösung ist. Der Bevölkerung wird das Gefühl vermittelt, mit der elektronischen Fußfessel könnten Straftaten verhindert werden. Aber allein durch das Auslösen des Alarms bei Betreten einer »verbotenen Zone« wird noch keine Straftat verhindert.

Hinzu kommt ein ganz praktisches Problem: In Großstädten kann es ob der großen Dichte verbotener Zonen zu vielen Fehlalarmen kommen. Damit würde die stigmatisierende Wirkung zementiert, was zur Folge hätte, dass ehemalige Straftäter/innen noch mehr als ohnehin schon aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Die Fußfessel ist also nicht das »mildere Mittel« im Vergleich zu einem weiteren Aufenthalt im Strafvollzug, denn sie greift erst, wenn die Strafe verbüßt und der oder die ehemalige Straftäter/in entlassen ist. Sie ist auch keine Alternative zur – an sich schon fragwürdigen und von der LINKEN abgelehnten – Sicherungsverwahrung.

Die Einführung der elektronischen Fußfessel mag dem einen oder der anderen trotz all dieser Argumente als zumutbar erscheinen. Ich teile diese Auffassung ausdrücklich nicht, will aber denjenigen, die das so sehen, zumindest eines mit auf den Weg geben: Was heute für gefährliche Straftaten gilt, kann morgen schon für einfache Straftaten angewendet und sogar noch ausgeweitet werden, um prinzipiell »abweichendes Verhalten« zu kontrollieren.

Damit würde ein weiterer und vor allem ein großer Schritt hin zum totalen Überwachungsstaat gegangen. Und der totale Überwachungsstaat wird alle – nicht nur einstige Staftäterinnen und Straftäter – das Fürchten lehren.

Vor diesem Hintergrund sage ich: Hände weg von der Fußfessel.

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