Pop Art und Protest

»Neue Realitäten« durch Fotografik aus fünfzig Jahren im Kupferstichkabinett

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
S. Polke, »Mu nieltnam netorruprup«
S. Polke, »Mu nieltnam netorruprup«

Am Anfang stand Gene Kornmans berühmtes Foto von 1952: Marilyn Monroe blutjung, weit dekolletiert und sehr sinnlich lächelnd. Bei Andy Warhol wurde daraus 1967, kurz nach Marilyns Tod, eine nicht minder populäre Serie aus zehn Farbsiebdrucken gleichen Formats. Nur das Gesicht entnahm er dem Foto, veränderte es jeweils knallfarbig, mit einander teils überlagernden Farbschichten, schuf so das Markenzeichen Marilyn als starre Ikone, indes von jedermann identifizierbar. Pop Art reflektiert und kommentiert damit fotografische Wirklichkeit, rückt sie künstlerisch verfremdet in eine behauptete Realität: als Kunstobjekt mit eigener Aussage.

Womit sich ab den 1960er Jahren im angloamerikanischen Raum Pop Art befasste – Anverwandlung und Umwidmung fotografischer Produkte – das reizte auch Künstler anderer Länder. Sie schufen so »Neue Realitäten«. Unter diesem Titel zeigt das Kupferstichkabinett aus eigenen Beständen eine Ausstellung mit der Unterzeile »FotoGrafik. Von Warhol bis Havekost«.

Denn genau darum geht es: wie originalen Fotos durch künstlerische Be- und Verarbeitung neue Aussagen abzugewinnen sind. Als Beweisstücke drängen sich 120 Werke von 40 Künstlern auf 240 Quadratmetern in Kabinetten aus Stellwänden. Unter sechs Gesichtspunkten versammeln sie Arbeiten aus einem halben Jahrhundert kreativen Schaffens.

So bündeln »Erfundene Realitäten« verarbeitende Beispiele in anderen Techniken. Eberhard Havekosts »37°« zeigt eine Pflanze vor rosiger Wand, Hans-Peter Feldmann einen Wasserfall, wie er zu Tal braust – zwei Offsetdrucke, die noch an Fotos erinnern. Gerhard Richters »Kerze II«, ein auf weiße Kunststoffplatte gezogener Offsetdruck, ist mit schwarzer Ölfarbe schon wie mit Fieberlinien gekurvt; und Rosemarie Trockels Siebdruck einer Nackten ist so stark gerastert wie beim Blick durch eine Jalousie.

Auch »Stadtraum und Landschaft« eignen sich zur verfremdenden Stellungnahme. So wird bei Franz Gertsch ein Farbdia zum fast wandfüllenden, bläulich monochromen Holzschnitt »Schwarzwasser I« aus Punkten und Linien; Kai Schiemenz formt per Inkjet eine »Wolke« zur dynamisch strömenden Ballung über Land um. Miroslaw Balka gewinnt seinem lithografischen Portfolio »A Crossroad in A« eine politische Dimension ab: So wie sich jene Wegkreuzung in Auschwitz mehr und mehr auflöst, könnte auch das Vergessen einsetzen.

»Wirklichkeitssplitter: Prinzip Collage« füllt zu Recht eine Abteilung, eignet sich die Collage doch besonders gut, die parallele Vielfalt unserer Zeit widerzuspiegeln. In Siebdrucken von Ronald B. Kitaj tauchen neben einer weißen Rose auf Grün auch Zeitungsfotos mit den Geschwistern Scholl auf. Falko Behrendt montiert scheinbar aus Negativen surrealistische Radierungen zu Majakowski. Roy Lichtensteins »Cathedral2« ist rotblau gepunktet und fließt erst aus der Entfernung zur Kirchenfassade; und Sigmar Polkes Offset »Fernsehbild (Kicker) I« zeigt den Detailblick in ein Kickerspiel. Manipulativ auch »Umwandlung«: Polke und Richter, Vertreter des Kapitalistischen Realismus, formen ein Bergmassiv schrittweise und absurd zur Kugel um. Zu berührender Aussage stößt Christian Boltanski vor, wenn er aus den Köpfen eines jüdisch-gymnasialen Abschlussfotos per Heliogravur Porträts von plastikartigem Relief und maskenhafter Starre selbst in ihrem Lächeln macht.

Dass »Ereignisbilder. Medien, Politik und Gesellschaft« reiche Beute für Künstler liefern, beweisen mehrere Exponate. So nutzt Wolf Vostell in den vier Siebdrucken »Olympiade« ein Foto von den Toten des Attentats bei den Sommerspielen 1972 in München, setzt Thomas Killper eine Aufnahme vom Chaos der »Entführung Schleyer« zum riesenhaften Holzschnitt um, verarbeitet Richard Hamilton den Schnappschuss von Verletzten einer Uni-Revolte zum Farbsiebdruck »Kent State«. Deutlicher noch wird Klaus Staeck: Sein demonstrativ dick rot gerahmter Siebdruck »Vietnamesische Vegetation nach der Berührung mit US-Kultur« zeigt schießende GIs inmitten toter Wälder. Druckgrafik als Politprotest.

Bis 9.10., Kupferstichkabinett

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