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Zögernd an der Grenze

Uta Geberts neue Inszenierung »Limen« eröffnete die Spielzeit in der Schaubude

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mann vom Lande grübelt. Das dauert. Aber er kommt irgendwann zu einem Entschluss. Im Winter schließlich begibt er sich auf einen langen Weg. Er will Zugang zum Gesetz. Schließlich ist es für alle da. So hat er sich entschlossen, fühlt aber die Angst vor der eigenen Courage. Seine Körperhaltung strahlt es aus.

Die Hände in den Hosentaschen, den Brustkorb etwas nach vorn gebeugt und die Schultern zusammengezogen schlurft er durch den eisigen Wind, immer bereit, sofort umzukehren, sollte sich ihm unerwartet ein Hindernis in den Weg stellen. Es ist keins auszumachen. Er muss weiter.

In Uta Geberts Puppenspielinszenierung »Limen« steht der Bauer schließlich vor einem Türhüter des Gesetzes, der ihn zu erschrecken sucht. Der Bauer jedoch – wohl nach dem langen Weg mehr genervt als mutig – schlägt ihm den Helm vom Kopf. Siehe da, der Hüter des Gesetzes beugt sich vor ihm. Nun findet er Einlass zum Gesetz. Er steht auf der Schwelle, blickt ins Licht. Man vermutet, dass er nicht weiter gehen wird. Er könnte. Aber reicht der Mut? Seine Bewegungen wirken halbherzig. Mit mehr Wissen käme auch Verantwortung auf ihn zu. Das ist wohl die Grenze, die er nicht überschreitet.

Oder doch? Wer will das schon wissen? Uta Gebert geht schon sehr weit mit ihrer Interpretation des Textes von Franz Kafka aus dem Jahr 1915, der auch als Türhüterlegende bekannt wurde. Kafka ließ vieles offen. Der Text aus seinem Roman »Der Process« bietet sich für Auslegungen an und wurde im Laufe der Zeit auch in viele Richtungen gedeutet. Das Stück »Limen« für Jugendliche und Erwachsene setzt die Grenze spät. Uta Gebert macht der handelnden »Person« mehr möglich. Dennoch bleibt für den Zuschauer noch viel gedanklicher Raum, selbst wenn die Geschichte in sich geschlossen ist.

Das ist typisch für die Stücke der Puppenspielkünstlerin. Sie sind kurz, zeigen das Wesentliche, sprechen das Gefühl an und bleiben einem noch eine gewisse Zeit in den Gedanken. So, als wollten sie sich mit den Erfahrungen des Zuschauers zusammentun und von ihm nach eigenem Ermessen ausgeschmückt werden. Jedes Mal setzt Uta Gebert dieses Gedanken-Spiel in Gang. Das ist schon eine besondere Kunst.

Die Inszenierungen der Puppenspielkünstlerin sind optisch immer in Dunkel getaucht, jedoch nie kalt. Schwarz vermummt führt Uta Gebert ihre selbst erschaffenen Puppen für den Betrachter fast unsichtbar aus dem Hintergrund. So sorgfältig wie die Puppen für »Limen« gebaut sind und bewegt werden, würden sie auch als Darsteller im Animationsfilm eine gute Figur abgeben.

Kurz heißt bei Gebert etwa zwanzig bis dreißig Minuten. Deshalb führt sie nach einer Pause immer ein zweites Stück auf. Bei der Premiere zur Spielzeiteröffnung der Schaubude in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg kam die Inszenierung »Anubis« auf der großen Bühne dazu.

»Limen« jedoch ist für den kleineren Raum gemacht. Auf diese Besonderheit ließ sich das gastgebende Theater ein. Das Schaubude-Publikum teilte sich in zwei Gruppen, für die Uta Gebert »Limen« jeweils aufführte. Manche Stücke brauchen eben die Nähe.

Während diese Inszenierung nun nach ihrer gelungenen Premiere ihren Weg nimmt, ist in der Schaubude das nächste neue Stück für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene am 7. Oktober zu erwarten. Großes Welttheater auf kleinem Tisch haben sich Kaufmann & Co. vorgenommen. Es geht um «Drei kleine Selbstmorde« – einen Klassiker des Objekttheaters.

Spielplaninformationen: Schaubude, Greifswalder Straße 81, Prenzlauer Berg, Tel.: 030 423 43 14, www.schaubude-berlin.de

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