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Verrat als Prinzip

Das Kino Arsenal präsentiert eine Olivier-Assayas-Retrospektive

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Frau in dem engen schwarzen Latexkostüm schleicht katzengleich über die Dächer von Paris. Was sie im Schilde führt, ist in mehrerer Hinsicht unklar: Hier ist nämlich eine Schauspielerin am Werk, die in dem Remake eines Stummfilms agiert und gleichzeitig Darstellerin eines übergeordneten Films ist, Olivier Assayas' »Irma Vep« (1996). Der Filmtitel steht als Anagramm für »Vampir« und folgerichtig saugen sich die Akteure am Set aus: Sie beschimpfen, verleumden und bestehlen sich, kurz: Alles läuft schief und der Regisseur (Jean-Pierre Léaud) steigt entnervt aus.

Selbiges ist von Assayas zum Glück nicht überliefert, dafür ist es umso begrüßenswerter, dass das Kino Arsenal dem französischen Filmemacher (Jahrgang 1955) nun eine Retrospektive widmet. Denn leider ist das etwa 20 Filme umfassende Werk des renommierten Autorenfilmers hier zu Lande weitgehend unbekannt.

Herrscht bereits in »Irma Vep« ein allgemeines Klima des Misstrauens, wird der Verrat in »Demonlover« (2002) zum narrativen Prinzip erhoben. Die Welt des internationalen Internet-Business fungiert als Hintergrund dieses spannenden Thrillers. Mit poppigen Bildern von japanischen (Porno-)Mangas und dubiosen Internetseiten gespickt, pendelt er zwischen Japan und Frankreich und verhandelt Themen wie Macht, Sex und (Konter-)Spionage - mit (etwas zu) vielen überraschenden Wendungen.

Die Protagonisten leben in einer vernetzten Welt voller Gefahren, aber auch vieler Möglichkeiten. Generell ist die Globalisierung ein roter Faden in Assayas? Filmen der 2000er Jahre, auch in »L'heure d'été« von 2008 (am 3. 10. in Anwesenheit des Regisseurs). Hier streiten drei Geschwister um das Erbe ihrer Mutter: Die Schwester wohnt in den USA, der jüngere Bruder in China und nur der älteste, noch in Frankreich ansässige Bruder pocht auf Familientradition, scheitert jedoch mit seinen nostalgisch anmutenden Idealen.

Viele Filme des ehemaligen Filmkritikers Assayas orientieren sich eher an Figuren als am Plot, absichtlich lässt er manches in der Schwebe. Sein Werk umfasst unterschiedlichste Genres, aber gewisse Themenkomplexe und Stilmittel wie Popkultur, dezidiert rockige Soundtracks oder die genaue Zeichnung unterschiedlichster Milieus verbinden seine Filme.

So wie am Ende von »L'heure d'été« junge Leute eine Party feiern, gibt es eine ähnliche Szene auch in »L?eau froide« (1994), der von einem jugendlichen Paar in den 1970er Jahren handelt. Können die Teenager in ersterem Film nicht mehr gegen die ältere Generation rebellieren, weil sie letztlich dieselben Werte teilen, erweisen sich die Eltern in »L?eau froide« nicht als Verbündete ihrer Kinder. Daraus resultiert die Tragik der 16-jährigen Christine (Virginie Ledoyen), deren Freund Gilles ihr nicht beistehen kann.

Oft arbeitet Assayas mit denselben Schauspielern. Als Muse diente ihm dabei seine Ex-Frau, die Hongkong-Starschauspielerin Maggie Cheung. Nach »Irma Vep« vertraute ihr Assayas ebenfalls in »Clean« (2004) die Hauptrolle an. Auch dieser Film spielt im Künstlermilieu und schildert anrührend den Versuch einer Musikerin, nach dem Drogentod ihres Mannes ihr Leben wieder in den Griff und das Sorgerecht für ihren kleinen Sohn zu bekommen.

Als Meisterwerk dagegen kann man getrost Assayas? letzten Film »Carlos« (2010) bezeichnen. Die Story von dem gleichnamigen Terroristen ist kein klassisches Bio-Pic, sondern greift sich prägende Etappen seiner Vita heraus: Unterhaltsam und intelligent arbeitet Assayas so den Größenwahn, den Machismo und die Scheinheiligkeit dieses schillernden wenngleich kriminellen Möchtegern-Revoluzzers heraus - unterstützt von dem herausragenden Hauptdarsteller Edgar Ramirez. Gleichzeitig zeichnet der Film ein sehr präzises Bild des geteilten Europas der 1970er und 80er Jahre. Erfreulicherweise zeigt das Arsenal auch die integrale, fünfeinhalbstündige Fassung des Werks, bei der keine Sekunde Langeweile aufkommt.

1. bis 30. 10. im Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tel: (030) 26 95 51 00; www.arsenal-berlin.de

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