Rechnung ohne Wirtin

Die FDP steht vor einem Mitgliederentscheid, ihre Führung vor einem Dilemma

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die kriselnde Koalition ist ein wohlfeiler Kampfbegriff der Opposition, aber derzeit kann man fast Mitleid empfinden. Die Bundesregierung steckt tief im Schlammassel. Und eine Lösung ist nicht in Sicht.

Am Dienstagabend versuchte es die Bundeskanzlerin erneut. Auf der letzten von sechs Regionalkonferenzen der CDU warb Angela Merkel, lockte, argumentierte, versuchte das Parteivolk für ihren Kurs in der Eurokrise zu gewinnen. Merkels Hauptproblem besteht darin, dass dieser Kurs für eine zunehmende Zahl von Kritikern gar nicht mehr erkennbar, für andere nicht akzeptabel ist. Auf den Regionalkonferenzen in Alsfeld, Dortmund, Oldenburg, Karlsruhe, Neumünster und Magdeburg begegnete der Kanzlerin die gleiche Unsicherheit, die auch die Koalition aus CDU, CSU und FDP ins Schlingern bringt.

So bedenklich kippelt es, dass die sonst reibungslos funktionierende interne Disziplinierung versagte und in öffentlicher Entgleisung des Kanzleramtschefs Ronald Pofalla sichtbar wurde, der gegenüber dem Abweichler Wolfgang Bosbach die Contenance verlor und so ein Schlaglicht auf die hässlichen Interna des Politikbetriebes erlaubte. Merkels Werben um die eigene Parteibasis offenbart vor diesem Hintergrund auch die Angst vor dem eigenen Scheitern, die der Angst der Basis, sich der falschen Führung ausgeliefert zu haben, nicht nachsteht.

Und alle drei Koalitionspartner erleben zur gleichen Zeit das gleiche Trauma. CSU-Chef Horst Seehofer wird nicht müde zu betonen, dass seine Partei für die Euro-Rettungsschirme ist, aber gegen ihre Ausweitung. Und praktisch zur selben Stunde, in der Merkel ihre Anhängerschaft in Magdeburg auf Linie zu bringen versuchte, teilte die aufrührerische FDP-Basis mit, dass sie nun einen Mitgliederentscheid erzwingen werde. Der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler und der einstige Bundesminister Burkhard Hirsch haben sich an die Spitze der Gegner eines geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gestellt, der die bisherigen befristeten Rettungsschirme (EFSF) der EU-Länder ablösen soll. Weit über die nötigen fünf Prozent der Mitgliedschaft - 3650 und damit 420 mehr als nötig - stimmten einer Befragung der Liberalen mit ihrer Unterschrift zu. Die FDP werde einem unbefristeten europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) »im Bundestag die Zustimmung verweigern und eine entsprechende Veränderung der Europäischen Verträge ablehnen«, heißt es in dem Text, der zur Abstimmung gestellt werden soll.

Umgehend machte die Parteispitze der Liberalen, obwohl sie ankündigte, den Entscheid konstruktiv zu begleiten, gegen seinen Erfolg mobil. Denn mit einem solchen würde die FDP der CDU die Gefolgschaft aufkündigen, für die Koalition mit verheerenden Aussichten. Die Panik ist nachvollziehbar, auch wenn Liberale in Interviews gelassen von »urdemokratischen« Vorgängen sprechen.

Zusätzlich paradox: Die Parteispitze muss sich gegen die marktradikalen Vorstellungen Schäfflers durchsetzen, hat aber von ihren eigenen nicht Abschied genommen. Während Parteichef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler in der letzten Woche noch für eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirms warb, ließ er parallel die Eckpunkte für eine mögliche Insolvenz von Schuldnerstaaten wie Griechenland erarbeiten, die diese eigentlich verhindern sollen. Die Eckpunkte machen nun unter dem Stichwort »Resolvenz« die Runde. Gläubiger und Schuldner teilten sich dabei die Kosten - die Gläubiger durch Verzicht auf Rückzahlungen, die Schuldner durch die Aufgabe von Souveränitätsrechten. Schäffler schrieb in einem Gastbeitrag für die FAZ: »Es geht uns im folgenden allerdings nicht um Angela Merkels Angst vor der Freiheit, die seit dem Frühjahr 2010 eine Recht und Freiheit schleifende Europapolitik betreibt. Es geht uns im folgenden vielmehr um die Angst, mit der zur Zeit überall in Europa im Zuge der Bekämpfung der Überschuldungskrise von Staaten und Banken freiheitsfeindliche Politik betrieben wird.« Das dürfte durchaus im Sinne Röslers gesprochen sein. Wenn man von einer Kleinigkeit absieht: dem Risiko des Machtverlustes, das eine solche Konfrontation mit sich bringt.

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