Brandsatz an Brandsatz am Bahndamm

Weitere gefährliche Funde in Berlin - Bundesanwaltschaft hat Ermittlungen übernommen

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(dpa/nd). Zu der Serie von Brandanschlägen auf Bahnanlagen im Großraum Berlin ermittelt jetzt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Es bestehe der Verdacht der »verfassungsfeindlichen Sabotage«, sagte ein Sprecher der Behörde am Mittwoch. Das Bundeskriminalamt (BKA) sei mit der weiteren Aufklärung beauftragt. Am dritten Tag in Folge wurden in Berlin Brandsätze an Gleisen der Bahn entdeckt. Damit waren zeitweise zwei der drei wichtigen ICE-Verbindungen von und nach Berlin gestört.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist unter anderem zuständig für die Verfolgung terroristischer Gewalttaten. Noch am Vortag hatte ein Sprecher gesagt, es gebe keine Anzeichen, dass die Vorfälle in die Zuständigkeit von Karlsruhe fielen. Die Bahn prüft derzeit nach Angaben des Sicherheitschefs Gerd Neubeck, ob weiteres Sicherheitspersonal eingestellt wird.

Die Polizei geht davon aus, dass alle Brandsätze gleichzeitig von mutmaßlich linksextremistischen Tätern deponiert wurden und seitdem nach und nach entdeckt werden. Insgesamt handelt es sich bis gestern Nachmittag um mindestens 16 Brandsätze in der Hauptstadt und dem Umland. Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere, nicht entdeckte Sprengsätze gibt. Bislang konnten keine Täter gefasst werden. Verletzt wurde niemand.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verurteilte die versuchten Brandstiftungen scharf und sprach von »verbrecherischen terroristischen Anschlägen«. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) widersprach: »Ich gehe nicht davon aus, dass uns hier ein neuer Linksterrorismus droht. Selbstverständlich ist das aber ein furchtbarer Zustand, dass Menschen andere Menschen gefährden. Das muss bekämpft werden.«

Auch das Bundesinnenministerium sah noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass aus den linksextremistischen Strukturen bereits linksterroristische Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches geworden seien, sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke. Nach den ersten Anschlägen war am Montag ein Bekennerschreiben im Internet aufgetaucht. Eine linksextreme Gruppe protestierte darin gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.

Die stellvertretende Parteivorsitzenden der LINKEN Halina Wawzyniak verurteilte die Taten: »Wer Sprengsätze wirft und Brandsätze hinterlegt, ist nicht links, sondern ein Straftäter. Gewalt ist grundsätzlich kein Mittel der Politik, auch keines linker Politik.« Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, Ulla Jelpke, sagte hingegen, die im Bekennerschreiben der Gruppe genannten Ziele seien durchaus richtig. »Sie protestiert gegen Kriege von deutschem Boden aus und Waffenlieferungen.« Gewalt gegen Sachen solle nicht verharmlost werden, so Jelpke. Dass im Bekennerschreiben beteuert wurde, keinem Menschen Schaden zufügen zu wollen, sei der Gruppe dennoch abzunehmen, auch die Bahn habe ein Entgleisen der Züge wegen des Ausfalls der Signalanlagen ausgeschlossen.

In der Nähe des Bahnhofs Staaken am westlichen Stadtrand Berlins wurden am Mittwoch Überreste eines gezündeten Brandsatzes gefunden. Er war vermutlich schon am Montag oder Dienstag explodiert. Dort lag auch noch ein weiterer Brandsatz. Auch zwischen den Bahnhöfen Schöneberg und Südkreuz südlich der Innenstadt entdeckten Bundespolizisten einen Brandsatz. Seit den ersten Funden am Montag suchten die Bahn und die Bundespolizei verstärkt alle Gleisanlagen ab.

Für die Anschläge verwendeten die Täter meist Plastikflaschen, die mit Benzin gefüllt und mit Zündern versehen waren. Sie wurden in Kabelschächten deponiert und sollten Kabelstränge und Leitungen zerstören, mit denen Weichen und Signale gesteuert werden. Eine Gefahr für Menschen sahen Experten nicht, weil bei einem Ausfall der Technik alle Züge gestoppt werden.

Züge Richtung Hannover wurden am Mittwoch für einige Stunden umgeleitet und brauchten zum Teil bis zu eine Stunde länger, wie eine Bahnsprecherin sagte. Auch die direkte Strecke nach Hamburg war schon seit Montag gesperrt. Dort hatte sich am Montag ein Brandsatz entzündet.

Zehntausende Reisende waren von Verspätungen und ausgefallenen Zügen betroffen. Dennoch war die Stimmung am Berliner Hauptbahnhof entspannt. Der Ärger hielt sich in Grenzen - gestrandete Fahrgäste saßen geduldig auf den Bänken. Auf die Bahn schimpfte keiner. Völlig verständnislos reagierten die Menschen auf die Methoden der Täter. Peter Müller-Krumwiede, der mit seiner Frau und vier Kindern auf den Zug nach Hamburg wartete, sagte: »Das sind gravierende Dinge, die da passieren, ich hoffe nur, dass es Einzelfälle bleiben.« Der Berliner Thomas Gotthal, der auf dem Weg nach München war, nannte die Anschläge kontraproduktiv. »Das geht doch nach hinten los für die, das führt doch nur zu mehr Überwachung und mehr Polizei.«

Schon am Montag und Dienstag waren zahlreiche Brandsätze in der Nähe des Hauptbahnhofes sowie an Gleisanlagen im Norden, Westen und Südosten der Hauptstadt gefunden worden. Die meisten Brandsätze zündeten nicht.

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