Wahnwitziges Gewusel

»Der Stand der Bilder« ehrt in der Akademie der Künste zwei Medienpioniere

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Rasant geschnittene Clips mit allen technischen Tricks, wie sie moderne Computerbearbeitung von gefilmtem, gedrucktem und auch anderweitig erzeugtem Material ermöglicht, gelten als westliche Erfindung der Gegenwart. Dass die Grundlagen dafür in Ländern des einstigen Ostens gelegt wurden, nimmt man verwundert in einer Ausstellung in der Akademie der Künste zur Kenntnis. Sie ist Teil einer großangelegten Kampagne, die Kunst aus Polen popularisieren will und, angesichts der geografischen Nähe zu Deutschland und unseliger Verquickung in der Nazi-Ära, »Blickwechsel« heißt. Vertreter fast aller Künste, vom Film bis zur Literatur, nehmen daran im mannigfaltigen Begleitprogramm teil.

Eröffnet wurde der »Blickwechsel« am Hanseatenweg mit der Ausstellung »Der Stand der Bilder«. Sie ist gleichsam Hommage an zwei Medienpioniere, die sich aus unterschiedlicher Sicht der Auseinandersetzung mit avantgardistischen Experimenten genähert haben. Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor ist der Pole Zbigniew Rybczynski, geboren 1949, ausgebildet in Lódz. Für seine 1973-1981 gedrehten Filme errang er internationale Preise, darunter einen Oscar. 1982 emigrierte er nach Österreich, lebte in den USA, Berlin und Köln, ehe er nach Wroclaw übersiedelte, wo er ein Studio zur Forschung um das bewegliche Bild aufbaut.

Ich zeichne, was ich sehe, überschreibt er schon in den 1960er Jahren entstandene Blätter noch traditionellen Zuschnitts: Haus, kahle Bäume im Park, Männerporträt. Auf Experimente mit Wirklichkeit, die subjektive Spiegelung und Umsetzung hin zu neuen Realitäten wird seine Recherche hinauslaufen. Gleich am Anfang steht der Oscar-prämierte Kurzfilm »Tango« von 1980. Zu Tango-Musik filmt Rybczynski ein blau tapeziertes Zimmer. Ein Ball fällt durchs Fenster, ein Junge klettert nach, durch die Türen quellen immer mehr Personen in den engen Raum, packen, säubern, wickeln ein Baby, kleiden sich um, treiben Sex. Am Ende bleibt der Ball, mit dem eine Frau den Raum verlässt. Im Zeitraffer und staccato läuft dies wahnwitzige Gewusel ab. Wie präzis sich der Filmer vorbereitet hat, beweisen immer wieder Zeichnungen exakter Handlungsabläufe, die jetzt selbst Kunstteil der Projekte sind. »Capriccio No. 24« von 1989, zu Musik Paganinis, dokumentieren Zeitcodeprogramme auf Millimeterpapier und Fotos. Filme aus den 70er Jahren nehmen computerbasierte Bildverarbeitung vorweg: schnelle Fahrten, verwischte oder verwackelte Szenen, Auflösung von Gegenständen und Personen. Gotische Kathedralen können jetzt ebenso als elektronischer Steinbruch dienen wie Botticellis »Geburt der Venus«.

Rybczynskis Spezialinteresse gilt geometrischen Verzerrungen von Gegenständen und Raum, wenn sich der Blickwinkel des Zoom-Objekts verändert. Seit den 90er Jahren experimentiert er wie die Künstler der Renaissance mit der Perspektive, hat dazu in einer Box Cranachs Adam und Eva an die Wände geklebt, als Pappfiguren in den Raum gestellt. Brillen mit verschiedenem Gesichtskreis ermöglichen dem Betrachter normale, sphärische oder lineare Perspektive. »The Orchestra« war 1990 der wohl erste HDTV-Langspielfilm: Zu Chopin und Verdi wird frei fliegend getanzt, zum Ave Maria schwebt ein Paar durch einen Kirchenraum. Videos zu Rock und Pop treiben schon Mitte der 80er Jahre das Absurde auf die Spitze.

Als Filmer, Theoretiker, Autor war der Ungar Gábor Bódy (1946-1985), studierter Philosoph und Historiker, fast parallel zu Rybczynski wegweisend, ohne dass beide einander begegnet wären. Auch seine Filme gewannen Preise, auch er lebte zeitweise in Deutschland, drehte in Vancouver, lehrte in Budapest, Berlin. Unverlierbarer Besitz der Avantgarde sind seine nachgelassenen Filme. Wandern auf »Psychocosmos« von 1976 nur Kreise über die Leinwand, setzt er 1977 bei »Anatomische Studien« Fotos Nackter zur Illustration von Brustatmung ein. Drei Versionen existieren von »Narziss und Psyche«, in dem neben dem jungen Udo Kier und Krisztina de Châtels Gruppe ungarische Dichter und Künstler nackt in einer Fantasielandschaft agieren. »Nachtlied eines Hundes« von 1983 fängt in 20 Szenen ein Panorama der Zeit ein: Busfahrt, Unfall, Familienstreit, Krankenbesuch, Predigt, Ball, Auffinden einer Leiche. Am Herzen lag Bódy Aufklärung über die neuen Medien. So informiert die »Filmschule« in 13 Teilen über Aufzeichnungsverfahren und ihre Ausdrucksweisen. Um Poesie bei der elektronischen Einflussnahme ging es ihm besonders, wie der Kurzfilm »Novalis: Walzer« zeigt: diverse Bildumsetzungen jenes Gedichts im Rhythmus der Sprache. Zeitgleich laufen Bódys »Vier Bagatellen«: unabhängig gefilmte Etüden um Tanz, von Linien gerastert, von Leerbildern und Ziffern als ästhetischer Klammer unterbrochen. Ein künstlerisches Radikalwerk aus dem Jahr 1975.

Bis 1.1., Di.-So. 11-20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten, Telefon (030) 200 57 10 00, Infos unter www.adk.de

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