Die Theaterfabrik

200 Schlosser, Tischler, Maler und Kostümbildnerinnen arbeiten im Bühnenservice der Berliner Opernstiftung

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 9 Min.
Katrin Doil in der Schuhmacherei
Katrin Doil in der Schuhmacherei

Es sieht aus wie in der Werkhalle einer Maschinenbaufabrik. Elektrische Laufkatzen unter der Decke, Betonfußboden, Schweißblenden, Abkantbänke, Metallbandsägen, Plasmaschneider, Bohrmaschinen, Schlagscheren und Rohrbieger. Doch hier entstehen weder Krananlagen noch Werkzeugmaschinen, sondern Treppen, Bettgestelle und sogar - Uhren. Je nachdem, was gebraucht wird. Die drei Berliner Opernhäuser, das Staatsballett und das Deutsche Theater in Berlin brauchen Unmengen, alles Mögliche, die verrücktesten Dinge, neulich zum Beispiel winzige Mechaniken für täuschend echt wirkende Fische, damit diese ihre Schwanzflossen bewegen können. Hier wird Beihilfe geleistet, Beihilfe zur Illusion. Selbst, wenn diese auf Desillusionierung hinausläuft. Wir sind im Bühnenservice der Berliner Opernstiftung, in der Schlosserei der Dekorationsabteilung.

Chef ist hier der Metallbaumeister Peter Kohlsmann. Im Oktober beging der 41-Jährige sein 25. Dienstjubiläum, denn gelernt hat er seinen Beruf noch zu DDR-Zeiten, an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden. Als Junge hatte er dort fünf Jahre lang im Kinderchor gesungen, bis zum Stimmbruch. Der Grund, dass er sich später ausgerechnet an der Staatsoper zum Schlosser ausbilden ließ, sagt er, sei das allerdings nicht gewesen. Jemand kannte jemanden, der jemanden kannte. Doch er, er kannte die Bühne! Und liebte sie. Ein Vorteil. Heute kennt und liebt Kohlsmann auch die Bühnen der anderen Häuser, für die seine Schlosserei arbeitet. Besser geht's nicht.

Sein Büro befindet sich hoch oben in einer Kabine aus Stahl und Glas, von dort aus hat er den Überblick. Unten arbeiten 16 Kollegen. Als die Werkstätten der einzelnen Häuser 2004 zum Bühnenservice der soeben gegründeten Opernstiftung zusammengelegt wurden, gab es zwar keine Entlassungen, doch Stellen von Kollegen, die in Rente gingen, wurden anfangs nicht neu besetzt. Es funktionierte trotzdem: Hatte früher eine der dezentralen Schlossereien freie Spitzen, während eine andere unter der Arbeitslast ächzte, konnte man jetzt die Kräfte bündeln. So etwas nennt man Synergieeffekte. Dass man nun seit einem Jahr am Wriezener Bahnhof sogar unter einem Dach wohnt, in direkter Nachbarschaft auch zu den anderen Fachwerkstätten, findet Kohlsmann »praktisch«: Man kann einander bei besonders kniffligen Angelegenheiten konsultieren.

Eine Herausforderungl war die Uhr, die die Staatsoper für das Bühnenbild ihres »Dr. Faustus« brauchte. Die Uhr sollte einen Durchmesser von 14 Metern haben, sich wie eine Wippe in alle Richtungen neigen können, über Zeiger verfügen, die sich ebenfalls in alle Himmelsrichtungen drehen, und sie sollte bespielbar sein. Sie haben es hingekriegt. Sie kriegen es fast immer hin. Nur manchmal ist es unmöglich, die Idee eines Bühnenbildners umzusetzen. Dann muss Kohlsmann die Hände heben: »Tut uns leid.« Ein Kompromiss muss gefunden werden.

Jeweils drei bis vier Wochen vor einer Premiere steht Kohlsmann dann selbst wieder auf der Bühne. Wenn bei der sogenannten TE, der Technischen Einrichtung, das komplette Bühnenbild erstmals im Bühnenhaus aufgebaut wird. Von der Arbeit der Schlosser ist zu guter Letzt oft nicht mehr viel zu sehen - so für das Stück nicht gerade eine Stahloptik gefragt ist, werden die Metallkonstruktionen mit Holz belegt oder mit Stoff verkleidet. Doch Kohlsmann weiß, dass sie da sind, dass ohne sie kaum etwas funktionieren würde. Theater! Seinen Zauber auf ihn hat es nicht verloren: Wie alle Mitarbeiter des Bühnenservice hat er die Möglichkeit, sich die Generalproben anzuschauen. Er nutzt sie. Nicht jede Inszenierung gefällt ihm. Dass sich Schauspieler »nackig ausziehen«, mag er nicht. Trotzdem wünscht er sich, dass Berlin alle seine drei Opernhäuser erhält: »Die Hauptstadt braucht sie.«

Die zweite Werkstatt der Dekoabteilung ist die Tischlerei. Das Lager ist voller Holz, gearbeitet wird mit Holz, es riecht nach Holz. Und nach Leim. Nicht unangenehm. »Brandlastig«, sagt Werkstattleiter Christian Krause, »aber wir passen auf.« Man glaubt es ihm. Unter anderem deshalb, weil der Tischlermeister, 50, nach zahlreichen Berufsjahren noch im Besitz aller Finger ist. Was daran liegt, dass er gleich nach seiner Ausbildung an der Deutschen Staatsoper als Arbeitsschutzobmann eingesetzt worden war. »Man gewinnt einen anderen Blick, den behält man bei.« Unfälle kommen auch in seiner Werkstatt vor, »aber sehr selten«.

Auch Krause thront über seiner Halle. Er wacht über 30 Mitarbeiter und 18 Azubis, sechs in jedem der drei Lehrjahre. Insgesamt gibt der Bühnenservice jährlich 50 jungen Männern und Frauen die Chance, einen Beruf zu erlernen. Freilich ohne die Aussicht, übernommen zu werden. Das ist schade, für die Azubis. Zwar genießen sie hier eine »Top-Ausbildung«, die es ihnen ermöglicht, später anderswo einen Job zu finden, doch nirgends dürfte die Arbeit so abwechslungsreich sein wie gerade hier. Krause: »Hier geht es zwar zu wie in einer Fabrik, aber wir fertigen nicht in Serie. Bei uns wird es nie langweilig.«

Bodenelemente, Dekorationswände, Requisiten wie ein besonderer Stuhl oder ein spezieller Sarg - solche Dinge bauen die Tischler. Millimetergenau. Krause selbst arbeitet nicht mehr an den Maschinen. Ihm obliegen logistische Aufgaben. Die reichen von der Kalkulation bis zur Abrechnung, dazwischen organisiert er die Arbeitsabläufe. War Krauses Tischlerei einst nur für die Produktionen der Deutschen Staatsoper und des Deutschen Theaters zuständig, ist auch sie heute Diener vieler Herren. Mit anderen Worten: Wie alle Werkstätten der Opernstiftung arbeitet sie nun für mehrere Produktionen gleichzeitig, im Augenblick für sechs. Sechs Premieren stehen bevor, darunter »Romeo und Julia« beim Staatsballett.

Krause erinnert sich an eine Zeit, in der Ruth Berghaus in die Werkstatt der Staatsoper kam und ihre Stücke vorstellte. Undenkbar heute: »Was das für Stunden fressen würde!« Um ehrlich zu sein: Krause vermisst nichts. Er ist Handwerker, sein Herz schlägt für den Fußball.

Wir sind in der Kostümabteilung, in einer der drei Damenwerkstätten. Man kann kaum treten, weil überall in den Gängen Kleiderpuppen mit Roben für »Romeo und Julia« stehen. Kleinmädchenträume. Nähmaschinen rattern, davor sitzen acht Schneiderinnen. Durch ihre schmerzenden Finger gleiten schwere Gazen, die den Kleidern Stand geben, die zu nähen jedoch eine Tortur ist. Da historische Kostüme im Trend liegen, kommen Gazen reichlich zum Einsatz, aber nicht nur. Auch werden nicht nur Kleider genäht, sondern oft wahre Kunstwerke wie das Kostüm der Spinne mit den vielen Armen in der Oper »Mikropolis«, die jüngst an der Komischen Oper uraufgeführt wurde.

Chefinnen sind hier zwei Frauen, so genannte Damengewandmeisterinnen. Auch sie müssen organisieren können. Gewandmeisterin Nadja Weckend erklärt ihre Aufgaben so: »Wir besprechen mit den Kostümbildnern auf Grundlage der Figurinen, welche diese gezeichnet haben, Zeit- und Kostenkalkulation, die Wahl des Materials und die technische Umsetzung.« Dabei erweisen sich die Gewandmeisterinnen nicht selten selbst als Künstlerinnen. Sie sind es auch, die die Schnittmuster anfertigen und zuschneiden. In gewisser Weise sind sie also auch so etwas wie Vorarbeiterinnen - sie leisten Vorarbeit für die Näherinnen.

Nadja Weckend war als Kind mit ihrer Mutter oft im Theater. Ihren Beruf hat sie von der Pike auf gelernt: Lehrling an der Komischen Oper, Kostümschneiderin, Schneidermeisterin. Die attraktive junge Frau brennt für ihre Arbeit. Zu Anproben muss sie in die verschiedenen Häuser. Was heißt muss? Aber Hallo! Auch wenn sie nicht mehr wie früher einfach über die Straße hüpfen kann, weil die neuen Werkstätten »etwas weiter ab vom Schuss liegen«. Bei den Hauptproben ist ihre Anwesenheit ebenfalls erwünscht. Manchmal sagt sie zu ihren Kolleginnen: »Mensch, kommt doch mal mit!« Die eine oder andere kommt tatsächlich manchmal mit. Wenn ihre Zeit es erlaubt. Bei etwa 50 Premieren im Jahr müssen tausende Kostüme genäht werden.

In der Schuhmacherei hält Schuhmachermeisterin Kornelia Thon das Heft in der Hand, beziehungsweise die Leisten. Neben der Leitung der Abteilung - Absprachen, Kalkulation, Organisation - stellt sie die Leisten her, das A und O für gute Schuhe. »Leistenarbeit ist Meisterarbeit«, sagt sie. Außer Chormitgliedern, zu deren »Standardrepertoire« jeweils ein Paar Pumps und Stiefel gehören, werden die Schuhe individuell angemessen. Denn, wie Kornelia Thon es ausdrückt: »Kein großer Auftritt ohne guten Auftritt.«

Ein Leisten besteht aus Holz und Kork. Für Stars, Solisten, Schauspieler und Tänzer werden eigene, maßgefertigte, mit Namen versehene Leisten im Keller aufbewahrt. Braucht jemand für eine Rolle neue Schuhe, kann Frau Thon den entsprechenden Leisten einfach heraufholen, ihn einpacken und ins Opernhaus fahren, um ihn mit dem dazugehörigen Fuß, der sich etwas verändert haben könnte, abzugleichen. Nachdem die Passform feststeht, geht es um Funktion und Schönheit des Schuhs: Soll es ein Sportschuh oder eine Sandalette werden? Oder ein Skistiefel an Stelzen? Ein Bärenfuß oder ein Hühnerbein? »Das Schuhwerk muss zum Kostüm passen, der Gesamteindruck muss stimmen.« Über den Leisten schneidet Frau Thon dann den Schuhschaft zu, der in die Schäftemacherei geht, zu den Stepperinnen und Näherinnen. Die Bodenbauer beenden das Werk: Sie fertigen Kappen, Sohlen und Absätze.

Ursprünglich kommt Frau Thon aus der Orthopädie. Den Beruf hat sie einst gewählt, weil sie mit den Händen arbeiten, etwas Schönes herstellen wollte: »Schuhe findet jede Frau schön.« Irgendwann fand sie zur Deutschen Oper und leitete die dortige Werkstatt. Berühmten Tenören hat sie die Schuhe angepasst, und auch heute kommt sie den Stars bei An- und Hauptproben ziemlich nahe. Dass die sich an ihr Gesicht erinnern, glaubt sie aber nicht. Warum sollten sie? Als Dank für ihre Arbeit nimmt sie gelungene Aufführungen. Kornelia Thon mag es »richtig fett: Große Oper, große Stimmen!«

Mit 200 Beschäftigten ist der Bühnenservice am Wriezener Bahnhof beinahe ein Großbetrieb. Wie viel Theater lebt noch in so einer Fabrik? Hendrik Nagel, stellvertretender Geschäftsführer der Opernstiftung und Produktionsleiter der Werkstätten, glaubt: »So viel, wie sie braucht, um den Bühnen Partner zu sein.« Und: »Was sich Berlin hier geschaffen hat, ist einzigartig.«

Nun kann man so etwas nie mit Sicherheit sagen. Auch Nagel, der schon an der Deutschen Oper am Rhein und am Theater in Basel gearbeitet hat, kann ja nicht wissen, ob es nicht irgendwo auf der Welt noch etwas Ähnliches gibt. Dennoch scheint er ehrlich begeistert. Was natürlich zu seinem Job gehört. Und doch, Nagel mag vieles sein: Bühnenbildner, Ausstattungsleiter, Projektleiter von Hause aus und jetzt, in Berlin, Herr der Organigramme - Schauspieler ist er nicht.

Noch bringen die älteren Mitarbeiter ein unschätzbares Kapital mit: Selbst, wenn es auch für sie schwerer wird, sich mit den einzelnen Produktionen zu identifizieren, wissen sie, wie es war und wie es sein könnte. Dies wird man bewahren müssen.

Peter Kohlsmann studiert eine Bauzeichnung.
Peter Kohlsmann studiert eine Bauzeichnung.
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