Freiheitsgüter nach nationaler Herkunft und Pass zuerkennen?

Zum Eckpunktepapier der PDS zur Zuwanderungspolitik

  • Karin Hopfmann, Flüchtlingspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Einig sind sich die ProtagonistInnen in der PDS darüber, dass das Eckpunktepapier über weite Strecken eine gelungene Darlegung sozialistischer Positionen zu Asyl und Migration ist. Die programmatische Forderung nach offenen Grenzen für Menschen in Not wird beibehalten und untersetzt, das Papier unterbreitet Vorschläge zur Verbesserung des Familiennachzuges, für die Legalisierung illegalisierter Menschen, zur Gleichstellung von MigrantInnen und für ein Niederlassungsgesetz. Es fordert die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze einschließlich des gültigen Ausländergesetzes, und es proklamiert ein individuelles, durchschaubares Recht auf Einwanderung. Die Bundestagsfraktion der PDS teilt in puncto Arbeitsmigration nicht das neue Leitbild vom nützlichen Einwanderer, der jung, dynamisch und hochqualifiziert die von der Politik selbst verschuldeten Lücken schließen soll. Ihr Leitbild ist eine menschenrechtliche Zuwanderungspolitik. Problematisch aber wird es bei den Vorschlägen für die Regelung der Einwanderung zum Zweck der Arbeitssuche. Einerseits werden möglichst freizügige Einwanderungsrechte ohne Quoten und Punktesystem für alle Einwanderungswilligen proklamiert, andererseits aber doch Ausgrenzungskriterien gesetzt. Die pragmatische Lösung heißt: Einwanderung »auf Probe« zum Zweck der Arbeitssuche. Wer dabei auf dem Arbeitsmarkt glücklos bleibt und nach einem halben Jahr keinen Arbeitsvertrag mit ortsüblicher oder tariflicher Entlohnung und keine Sozialversicherung vorweisen kann, soll wieder ausreisen. Entspricht diese vermeintlich pragmatische Idee den Realitäten des Lebens, oder ist sie nicht vielmehr blauäugig? Aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass die meisten Menschen nicht aus ihrer Heimat auswandern wollen, dass sich viele dazu aber gezwungen sehen, um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern. Wir wissen auch, dass ArbeitsmigrantInnen nach einer gewissen Zeit gern zurückkehren möchten, es aber nicht ohne weiteres können. Diejenigen, die wir nach der Vorstellung einer Mehrheit der Bundestagsfraktion nunmehr großzügig einladen wollen, zunächst befristet einzuwandern und ihr Glück zu versuchen, werden nach den vorgegebenen Kriterien unversehens und in kürzester Zeit nach nützlichen und unnützen Menschen sortiert. Wer bei der Arbeitssuche wegen fehlender beruflicher Qualifikation oder mangelnden Sprachkenntnissen leer ausgeht, hat eben Pech. Entweder reist er freiwillig aus, oder er taucht ohne legalen Aufenthalt unter und arbeitet schwarz. Dann droht ihm nach dem Konzept der PDS allenfalls ein halbes Jahr lang die Abschiebung, denn dann kann er seinen Aufenthalt auf Antrag legalisieren lassen. Obwohl auch das nicht so eindeutig ist. Denn im Eckpunktepapier heißt es vor den Vorschlägen zur Legalisierung: »Die nachfolgenden Umsetzungsvorschläge beziehen sich im wesentlichen auf den Zeitraum vor der Verwirklichung der anderen flüchtlings- und einwanderungspolitischen Vorstellungen«, was wohl eine Legalisierungskampagne im Sinne einer Stichtagsregelung bedeuten soll. Was genau gemeint ist, eine regelmäßige Legalisierungsmöglichkeit oder eine Stichtagsregelung vor der gedachten Einführung eines individuellen Rechts auf Einwanderung, bleibt im Dunkeln. Wenn der migrantenpolitische Sprecher der Berliner PDS-Fraktion Giyas Sayan augenzwinkernd meint, dass erfolglos Arbeitsuchende nach den Vorstellungen des PDS-Papiers nach einem halben Jahr Aufenthalt ohnehin einen legalen Aufenthalt erhalten könnten, dann macht er sich selbst etwas vor. Wenn das der Trick wäre, um die Anwendung unmittelbaren Zwanges in Form von Abschiebungen zu umgehen, dann erhebt sich doch die Frage: Warum lassen wir nicht gleich einwandern, wer einwandern will? Warum solche umständlichen Prozeduren, um den Anstand zu wahren? Wo bleiben die neuerdings beschworenen Freiheitsgüter, die »gleichen politischen und sozialen Möglichkeiten von Freiheit für jede und jeden«? Wollen wir die Freiheitsgüter nach nationaler Herkunft, nach dem Pass zuerkennen? Die meisten MigrantInnen tun nichts anderes, als den oft illusionären Versuch zu wagen, sich von bedrückenden Verhältnissen in ihren Herkunftsländern abzuwenden, indem sie sich in neue prekäre Verhältnisse begeben. Sie verdienen unsere Solidarität, aber nicht die Androhung des Raus- wurfes als unnütze Menschen. Wenn wir schon Angst haben, Freizügigkeit offen zu vertreten, oder meinen, das sei unrealistisch, so gibt es durchaus Möglichkeiten eines Interessenausgleichs von Aufnahmegesellschaft und MigrantInnen, ohne in die Logik von Abschiebepolitik, Illegalisierung und Nützlichkeitsdenken zu geraten, was ja die aktuelle Konzeption nicht ausschließt. Natürlich kann Einwanderungswilligen abverlangt werden, sich aktiv in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren. Allerdings nicht im Sinne von Anpassung oder gar Assimilation. Bei einem zu schaffenden Netzwerk von Integrationsberatungsstellen sind Hilfestellung, Begleitung, Berufswegeplanung und Eigenleistung mit positiven Anreizen zur schnelleren Verfestigung des Aufenthaltes die beste Lösung für eine erfolgreiche Integration, von der beide Seiten profitieren werden. Ängste, dass nicht zu bewältigende Massen von Einwanderern die Sozialsysteme überfordern würden, sollten wir zur Kenntnis nehmen, ihnen aber den populistischen Nährboden entziehen. Ernstzunehmende wissenschaftliche Studien belegen solche Spekulationen ebenso wenig wie die bereits erlebte Situation der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit innerhalb der EU. Wo sind die vorausgesagten Einwanderungswellen aus den ärmeren Regionen Südeuropas geblieben? Auch der Verweis auf Dumping- löhne und illegale Beschäftigung bringt uns nicht weiter. Solange der legale Aufenthalt von MigrantInnen eingeschränkt wird, wird es diese Erscheinungen geben. Wer dringende Gründe hat auszuwandern, wandert anderswo ein, notfalls ohne Visum und Arbeitsgenehmigung. Ein in begrenztem Umfang möglicher Pragmatismus für eine Einwanderung von ArbeitsmigrantInnen ohne das Nützlichkeitskalkül kann allerdings nur als gesamteuropäisches Modell verwirklicht werden. Hier hat die europäische Linke eine gewichtige Aufgabe, die sie anscheinend noch nicht richtig zur Kenntnis genommen hat. Oder ist sie noch von nationalen Ressentiments geprägt? Die international geachtete amerikanische Migrationsforscherin Saskia Sassen beschrieb die Konsequenzen der Globalisierung für die Einwanderungspolitik folgendermaßen: »Angesichts dessen kann man dem Staat nicht mehr eine souveräne Kompetenz bei der Ausgestaltung und Durchsetzung seiner Einwanderungspolitik unterstellen. Zwar verfügt der Nationalstaat noch immer über die Macht, seine eigene Einwanderungspolitik festzuschreiben, doch ... kann er die realen Migrationsbewegungen mit seiner Politik - im konventionellen Sinne des Wortes - nur noch marginal beeinflussen.« Genau aus diesen Überlegungen habe ich wiederholt vor dem Versuch der Quadratur des Kreises gewarnt. Wir können politisch nicht regeln, was so nicht regelbar ist. Dem vermeintlichen Pragmatismus, der jetzt in der PDS in Mode ist, sollte nicht in jedem Fall vertraut werden. Die KritikerInnen so genannter reformpolitischer Lösungsvorschläge als IdeologInnen abzutun, bringt uns nicht weiter. Eher sollte noch einmal gründlich darüber nachgedacht werden, wie ein in allen Punkten stimmiger Vorschlag für eine menschenrechtliche europäische Einwanderungspolitik und ihr...

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