Fresserei und Liebe

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.
Troller 1970
Troller 1970

Zwischen dem, was der Mensch ist und zwischen dem, was er sagt, können Welten liegen, Abgründe gar. Diesem Konflikt stellt sich das Genre Interview. Es ist eine Feier des Vorläufigen, es bewegt sich im Spannungsfeld von ausgebreiteter Authentizität alles Gesagten und einem authentischen Ich, das doch letztlich immer im Dunkel bleibt.

Georg Stefan Trollers Kunst zielte stets auf die unzähligen Abstufungen, in denen besagter Widerspruch erzählenswert wird - Abstufungen zwischen dem Extrem einer schmeichelnden Interviewführung und dem anderen Pol einer Decouvrierung des Gesprächspartners, mit deutlicher Absicht des Fragers, eine intellektuelle Selbstfeier abzuhalten. Trollers Porträts waren anders, sie erlagen auch nicht den Bequemlichkeiten einer Technik, die man heute Statement nennt; sie verliefen schon gar nicht so, dass recht viel Glanz auf den investigativen Erkundiger fiele. Und schon gar nicht mochten diese Arbeiten sich je genügen als reine Dokumentationen einer bestimmten Funktionalität der Porträtierten.

Troller hat die Kunst des Interviews so verfeinert, dass ein probates journalistisches Verfahren zur literarischen, bildkünstlerischen Form werden konnte. Einen weiteren Widerspruch hat er dabei kultiviert: seine eigene Arbeit als »Menschenfresserei« zu bezeichnen, aber quasi kein Herz zu beschädigen. Er enthüllte nicht, er staunte; er benutzte niemanden seiner Gesprächspartner, er liebte.

Naturgemäß, das sieht auch Troller so, ist der Journalist ein Voyeurist, der nichts wirklich durchlebt, sondern Leben darstellt, nichts wirklich durchleidet, sondern es nur bekannt macht. Er ist Eindringling, in die Gefühle, ins zuckende Fleisch, aber ohne Priester zu sein oder Heiler; der Journalist produziert und wirkt, zuletzt jedoch möge er nichts weiter sein, so Troller, als »bescheiden, gut, fromm, dankbar und ein wenig zynisch«. Wenn man den Zynismus in der Art Heiner Müllers definiert: »etwas unverstellt zu sagen, ohne ideologisch zu fragen, wem es nützt«. Je besorgter diese Frage gestellt wird, desto mehr Lügen mischen sich bekanntlich unters Wort, unters Bild.

»Pariser Nacht« heißt die Hommage an Troller, die der Westdeutsche Rundfunk am Sonntag ausstrahlt - um null Uhr dreißig! Man darf sagen: Später geht's wohl nicht? Man darf es aber auch im Sinne des Jubilars umkehren: Die TV-Ehrung erfolgt sehr früh am Tag, man kann ihn schließlich nicht früh genug feiern. Als letzten Vertreter eines reportierenden Realisten, dem die Sensation nichts ist, das den Menschen übersteigt. Die Sensation ist der Mensch selbst.

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