LINKE vertagt Streit auf Januar

Klausur der Partei- und Fraktionsspitzen in Elgersburg konnte sich nicht über Mitgliederentscheid einigen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf ihrer Klausur im thüringischen Elgersburg fanden die Vorstände von Partei und Fraktionen in Bund und Ländern in der Frage eines Mitgliederentscheids nicht zueinander. Über das Verfahren zur Bestimmung der neuen Parteispitze beraten nun die »Gremien«.

Oskar Lafontaine stieß am Sonnabend, dem zweiten und letzten Tag der Klausur zur großen Runde der Partei und Fraktionsspitzen. Von seinem Wort, das war schon in den Debatten über einen Mitgliederentscheid am Vortag klar gewesen, würde viel abhängen für den Ausgang der Debatten. Nicht nur wegen seines politischen Gewichts in der LINKEN, sondern auch wegen des brisanten Verhältnisses zum Fraktionsvize Dietmar Bartsch, an dessen Kandidatur zum Parteivorsitz sich derzeit die Geister scheiden.

Eine Mitgliederbefragung war zunächst von Parteichef Klaus Ernst in die Debatte gebracht worden. Bartsch hatte die Ankündigung seiner Kandidatur für den nächsten Parteivorsitz schließlich ebenfalls mit der Befürwortung einer solchen Urwahl verbunden. Seither ist der Streit um Pro und Kontra entbrannt, und die meisten der Gegner machen keinen Hehl daraus, dass ihre Abneigung vor allem der Person Bartsch selbst gilt, der sich von der Befragung eine Verbesserung seiner Aussichten auf dem für Juni 2012 geplanten Parteitag versprechen könnte.

Lafontaine ließ vieles offen

Lafontaine, dessen Verhältnis zu Bartsch seit der gemeinsamen Zeit im Parteivorstand als gespannt gilt - Lafontaine war bis Frühjahr 2010 Vorsitzender, Bartsch Bundesgeschäftsführer -, sprach sich in Elgersburg nach Angaben von Teilnehmern vehement gegen einen Mitgliederentscheid aus. Er habe sich allerdings dafür ausgesprochen, dass Bartsch wieder in die Parteispitze zurückkehrt, hieß es. Ob als Vorsitzender, das ließ Lafontaine ebenso offen wie die Frage nach einer eigenen Kandidatur. Während die einen eine Geste der Versöhnung erkennen, mutmaßen andere, Lafontaine könnte kurz vor dem Parteitag mit einer eigenen Kandidatur alle bisherigen Planungen und Debatten über den Haufen werfen.

Bisher hat außer Bartsch nur die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch ihre Kandidatur angekündigt, Klaus Ernst ließ die Frage auch am Wochenende offen. Bisher haben sich vier Landesvorstände für eine Urabstimmung ausgesprochen - außer Mecklenburg-Vorpommern, Bartschs Heimatverband, sind dies Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Die Mitgliederbefragung sei »von der Mehrheit der Landesverbände zurückhaltend oder ablehnend beurteilt worden«, heißt es in der Mitteilung des Parteivorstandes. Gleichwohl könnten die vier Vorstände eine Urwahl erzwingen; die Satzung verlangt unter anderem den Antrag von Landes- und Kreisverbänden, die »gemeinsam mindestens ein Viertel der Mitglieder repräsentieren«.

Neue Zerreißprobe steht ins Haus

Auf Initiative des Parteibildungsbeauftragten Ulrich Maurer hatte der Geschäftsführende Parteivorstand vor Wochenfrist beschlossen, rechtliche Hindernisse eines Entscheids von einem Experten prüfen zu lassen. So herrscht Unsicherheit darüber, ob die in der Satzung vorgeschriebene Mann-Frau-Quotierung eventuell verschiedene Wahlgänge auch bei der Befragung notwendig machen würde. Die Satzung erlaubt zwei weibliche Vorsitzende. Die Bundesgeschäftsführer Caren Lay und Werner Dreibus hatten zu Monatsbeginn Überlegungen über mögliche Szenarien einer Mitgliederbefragung vorgelegt, die keine Probleme erkennen lassen.

Während Befürworter der Urwahl schon in dem Prüfauftrag eine »Chaotisierungsstrategie« zur Verhinderung der Befragung sehen, wurden in Elgersburg nach Angaben von Teilnehmern von der beschuldigten Gegenseite mehr oder minder unverblümt Boykottdrohungen ausgesprochen. Wie immer auch die Entscheidung lauten werde, so vermuten inzwischen viele, werde die Sache auf jeden Fall vor der Schiedskommission landen. Die Klausur beschloss nun einen Zeitaufschub, um das Problem möglichst reibungsarm zu lösen. Im Januar sollen letzte Verabredungen zwischen Bundes- und Landesspitzen getroffen werden - nach Beratung in den »Gremien im Bund und den Ländern«.

Dietmar Bartsch zeigte sich gegenüber »nd« mit dem Verlauf der Klausur zufrieden. Dennoch steht der LINKEN - zum Leidwesen wohl eines Großteils der Mitglieder - nun womöglich die nächste Zerreißprobe ins Haus. Und das nach der zermürbenden Diskussion über das Parteiprogramm, die auf dem jüngsten Parteitag in Erfurt gerade erst mit symbolträchtig einhelliger Zustimmung beendet worden war. Was die Führung zu vermeiden suchte, tritt erneut ein - statt über die inhaltlichen Debatten der Elgersburger Runde bestimmt die Personaldebatte die öffentliche Wahrnehmung.

Erklärung gegen Nazigewalt

Einstimmig wurde eine Erklärung gegen den Neofaschismus und rechte Gewalt verabschiedet, in der darauf hingewiesen wird, dass Aktive und Strukturen der Partei »in wachsendem Maß« Angriffen von rechts ausgesetzt seien. Jede Kriminalisierung von friedlichen Protestformen gegen Nazi-Aufmärsche sei ein »Bärendienst für die demokratische Kultur. Wir fordern die Einstellung aller Verfahren gegen Nazi-Gegner.« Weitere Themen waren die Auswertung des »Superwahljahres 2011«, die politischen Schwerpunkte für das kommende Jahr, Beratungen über das Konzept einer Projektgruppe »LINKE 2020«, Netzpolitik und eine Mitgliederzeitschrift der Partei.

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