Vokaler Furor, Lust am Spiel

Shakespeare und Wagner zur Wiedereröffnung des Meininger Theaters

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Meininger können froh sein, dass eine zentrale Entscheidung ihres Theaterherzogs Georg II. schon lange wieder aufgehoben ist. Der hatte Ende des 18. Jahrhunderts zugunsten des Schauspiels kurzerhand das Musiktheater abgeschafft. Ansgar Haag, heute Intendant in Meiningen, setzte jetzt zur Wiedereröffnung des nobel aufgefrischten, technisch verbesserten Hauses nicht nur Shakespeares »Maß für Maß« aufs Programm, sondern auch die Opern-adaption dieser bitterbösen Komödie: Richard Wagners vorbayreuther Jugendsünde »Das Liebesverbot«. Erst die Haags Wagner-Inszeierung rettete das Doppel-Unternehmen künstlerisch. Das Wagner-Jahr 2013 vor Augen, ist Meiningen mit dieser Produktion dem Gemeinschaftsunternehmen von Bayreuth und Leipzig in Sachen Frühwerke nun sogar einen Schritt voraus.

Die Meininger Hofkapelle unter ihrem Generalmusikdirektor Philippe Bach, das gut aufgestellte Protagonisten-Ensemble, der Chor und alle anderen Beteiligten machten den Abend musikalisch zu einem Genuss für Wagnerianer. Ein hervorragend aufgereitetes Motive-Raten ließ über manche kompositorische Schwachstelle milde hinweglächeln, führte aber zur überraschenden Erkenntnis, dass der Meister der großen Bögen und des ernsten Tones, zumindest in seiner Jugend, auch den leicht geschürzten, komischen, gar operettenhaften Ton beherrschte. Wäre Wagner später nicht Senta und Daland, Isolde und Tristan begegnet und via Wartburg und Nibelheim bis in den Gralsbezirk gewandert - vielleicht gäbe es heute, statt der Offenbachiade, eine Wagneriade …

Bei den Sängern indessen - das hört man - muss Wagner von Anfang an die besten und konditionsstärksten der Zunft im Visier gehabt haben. Mit den Meiningern wäre der Meister zufrieden gewesen. An der Spitze der Hierarchie in Palermo (und des Ensembles) steht als sittenstrenger deutscher Statthalter Friedrich mit Dae-Hee Shin ein nobel auftrumfpender Sänger von herausragendem Format, der auch jedem größeren Haus zur Ehre gereichen würde. Bettine Kampp ist eine leuchtkräftige, souverän zwischen allen Tonlagen wechselnde und sicher strahlende Isabella. Dass die Schwester des wegen einer landesüblichen Liebeskleinigkeit zum Tode verurteilten Claudio nicht nur sowieso im Recht, sondern hier auch noch clever genug ist, um eine Verwechslungsintrige zu spinnen, die Friedrich als Heuchler bloßstellt, nutzt sie überdies für eine sympathisch augenzwinkernde, gelegentliche Distanzierung von der Würde ihrer Nonnentracht. Mit betörendem Schmelz singt sich Camila Ribero-Souza als Mariana vom Kloster zurück an die Seite ihres Ehemannes Friedrich, vor allem aber in die Herzen der Zuschauer, während sich die attraktive Dorella von Sonja Freitag den Geheimdienstchef angelt.

Auch die Männerriege kann sich hören lassen - ob nun der zwischen Witz und Seriosität changierende Roland Hartmann als Polizei-und Geheimdienstchef Brighella, Rodrigo Porras Garulo als in die Klemme geratener Claudio, oder Maximilian Argmann als Antonio und Xu Chang als Luzio - sie und alle anderen verbinden vokalen Furor mit der Lust am Spiel.

Dafür liefert ihnen Regisseur Ansgar Haag die passenden Vorlagen. Die große halbrunde Fassade der Macht von Helge Ullmann, die schon im Schauspiel die Drehbühne beherrschte, ist jetzt durch eine Steinquader-Oberfläche zu einem südländischem Kolosseum mutiert. Zusammen mit den Hubpodien und wenigen Ausstattungsstücken vermag man ebenso bühnenpraktisch wie sinnvoll zwischen Innen- und Außenräumen zu wechseln. Haag zeigt seine Sänger und den Chor durch schlüssige Personenführung im Dauerclinch mit ihrer durchgeknallten Obrigkeit.

Verlegt ist das Ganze in die 1920er Jahre (Kostüme: Renate Schmitzer), was die Vorlage für ein dann doch überraschendes Finale liefert. Wenn nämlich alle, einschließlich des geläuterten Friedrich, nach überstandenem Tugendterror zum finalen Triumph die Rückkehr des Königs und ihres alten Lebens feiern wollen, zieht eine Blaskappelle in braunen Uniformen ein (es ist die Big Band des Martin Pollich-Gymnasiums Mellrichstadt). Dazu ergreifen die willigen Vollstrecker aus der zweiten Reihe nach einem Blutbad die Macht. Damit hatte man zwar nicht mehr gerechnet, aber diese finstere, wenn auch gute alte, politische Pointe macht mehr Sinn, als der plakative mediale Diskurs vom Shakespeare-Vortag. Diesmal war der Beifall echter Jubel für den gelungenen Wiedereinzug ins schöne neue, alte Meininger Haus.

Nächste Vorstellung »Maß für Maß« am 15.12., »Das Liebesverbot« am 18.12.

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