Hallo, Europa!

Serbien will sich im Januar 2012 offen und optimistisch als Gastgeber der Handball-Europameisterschaft präsentieren

  • Michael Müller, Belgrad
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Serben sind ein sportverrücktes Völkchen. Derzeit steigt das Handballfieber. In knapp vier Wochen wird hier im Land die Europameisterschaft der Männer angepfiffen. Am Ende will Serbien möglichst eine Medaille abbekommen. Und sich Europa und der Welt gern so präsentiert haben: gastfreundlich und modern, tolerant und seiner Zukunft offen zugewandt.
Kinder und Jugendliche dieser Tage im südserbischen Nis: Die Eigenen anfeuern, die Gäste feiern.
Kinder und Jugendliche dieser Tage im südserbischen Nis: Die Eigenen anfeuern, die Gäste feiern.

»Willkommen in Serbien, dem Land der Handball-Fantasie!« Tausendfach ist das plakatiert. Besonders augenfällig in den vier Spielorten der Handball-Europameisterschaft der Männer: in der Hauptstadt Belgrad, im Norden in Novi Sad und Vrsac, im Süden in Nis. Rund um dieses Motto läuft der öffentliche Countdown bis zum Anpfiff am 15. Januar. Seit Monaten begleitet von kleineren und größeren Sportfesten rund um die beiden Veranstaltungssymbole: ein aufgeblasener Riesenhandball und ein handballerndes Adler-Maskottchen in den serbischen Farben rot-blau-weiß.

Der Begriff Handball-Fantasie suggeriert vieles, vornehmlich natürlich Angenehmes, lässt viel Platz für Deutung und Träume. Für Bozidar Djurkovic fokussiert sich diese Handball-Fantasie in erster Linie aufs Sportliche; schließlich ist er Generalsekretär der Serbischen Handballföderation. »Mit einiger Fantasie und ohne Fantasterei kann ich mir ausmalen, dass unsere Mannschaft, obwohl nicht Mitfavorit, ziemlich weit vorn landet«, sagt der einstige Erstligaprofi. Und fügt selbstbewusst hinzu, dass seine Fantasie ebenso Platz habe für eine »begeisternde, im Gedächtnis bleibende Europameisterschaft.«

Stadtschulmeisterin und das wahre Gesicht

Für die 15-jährige Maja Nikic aus Nis, der Stadt, in der die deutsche Mannschaft ihre Vorrundenspiele bestreiten wird, ist Handball-Fantasie damit verbunden: »Im nächsten Jahr Stadtschulmeister der Gymnasien werden und vielleicht mal von Svetlana Kitic ein Autogramm ergattern.« Kitic, jugoslawische Olympia- und mit Radnicki Belgrad mehrfache Europacupsiegerin, war 1988 zur weltbesten Handballerin aller Zeiten gekürt worden.

Eine dritte Lesart von Handball-Fantasie bietet Snezana Markovic, serbische Ministerin für Jugend und Sport. »Das ist eine der großen Gelegenheiten, Europa und der Welt das faire, das wahre Gesicht Serbiens zu zeigen«, gibt sie sich zuversichtlich. Es gehe zwar sportlich um Sieg und Niederlage, aber ebenso »um ein Signal für Toleranz und gegenseitigen Respekt zwischen den Nationen«.

Darauf ist auch das gesamte EM-Sicherheitsprogramm gerichtet. Doch leider gelingt es serbischen »Ultras« immer wieder, ein ganz anderes Gesicht ihrer Landes zu zeichnen. Erinnert sei nur an den von ihnen vor Jahresfrist erzwungenen Abbruch des Qualifikationsspiels für die Fußball-EM Italien - Serbien in Genua.

Sportministerin Marcovic hatte die Gewaltexzesse damals scharf verurteilt und »entschlossene Schritte gegen diese Vandalen, die dem mühselig wieder aufgebauten Ansehen unseres Landes einen schweren Schlag versetzt haben«, angekündigt. Es gab Verhaftungen, Prozesse und Verurteilungen. Allerdings sind die politischen Motive dieser Leute und ihrer Hintermänner nicht aus der Welt: »Wir sind eben Nationalisten«, hatte sich einer der »Ultras« damals im italienischen Fernsehen gebrüstet: »Wir wollen ein Fanal gegen die EU und gegen die Unabhängigkeit Kosovos setzen.«

Pro und Kontra weiter zugespitzt

Pro und Kontra zum EU-Beitritt sowie zur staatlichen Anerkennung des abtrünnigen Kosovo haben sich in Serbien durch jüngste Ereignisse eher noch zugespitzt. In der EU-Kommission wurde gerade - vor allem durch die von der US-Diplomatie inspirierte Intervention Deutschlands - die Statusanerkennung Serbiens als Beitrittskandidat vertagt. Und nach wie vor gibt es ein Patt in Fragen der Protestbarrikaden. In Kosovo lebende Serben pochen gegenüber westeuropäischen Kfor- und Eulex-Kräften auf ihr Selbstbestimmungsrecht.

Es könnte also auch ein heißes Spiel drohen. »Wir tun alles, um uns von Leuten, die beim Sport ihr politisches Süppchen kochen wollen, die EM nicht vermasseln zu lassen«, versichert Dzemailoski Mazlam, EM-Manager der Serbischen Handballföderation. Das ist nicht zuletzt im Sinne der Tausenden Helfer und ihrer Handball-Fantasie nur zu wünschen. Immerhin geht es um das größte internationale Sportereignis nach der völligen staatlichen Eigenständigkeit Serbiens, nach internationaler Isolierung in der ersten Hälfte der 90er Jahre, der 78-tägigen NATO-Bombardierung im Frühjahr 1999. Die Spannung steigt. Es ist vor allem eine frohlockende, aber auch eine etwas bange.

In Nis, zwei knappe Autostunden südlich von Belgrad, muss das deutsche Team in der Vorrundengruppe B gegen Tschechien, Schweden und Mazedonien antreten. Bereits drei Monate vor dem Auftaktmatch »waren wir EM-spielbereit«, sagt Dejan Radojevic, der Chef des Sportzentrums mit rund 6000 Hallenplätzen. Fast fünf Millionen Euro hat die Stadt in die Modernisierung gesteckt. Die Spiele sind längst ausverkauft, die Fanmeile im alten Stadtzentrum ist abgesteckt. »Bereits jetzt haben wir eine Superpromotion gehabt«, freut sich Dragana Jesic, die Büroleiterin des Bürgermeisters für Europa-Angelegenheiten. Ähnlich ist es bei einer kleinen nd-Umfrage in der Stadt zu hören. Selbst beim Franziskaner Niko Josic, dem Pfarrer der katholischen (Diaspora-)Gemeinde von Nis. »Sport verbindet, und Gäste beleben«, sagt er.

Die EM-Spielorte Novi Sad und Vrsac liegen nördlich von Belgrad. »Wir sind voller Erwartung, dass es endlich losgeht«, konstatiert Radovan Jokic. Er hat an der hiesigen Kunstakademie Malerei studiert, ist promovierter Kulturwissenschaftler, stellt in Paris, München, London aus. »Diese Europameisterschaft sollte, könnte signalisieren: Hallo Europa, Serbien gehört zu dir, und es hat geöffnet!«, sagt er. »Und mit Europa meine ich in erster Linie den kulturellen Raum, also weit mehr als nur die EU«. Auch in Novi Sad gibt es übrigens keinen Hallenneubau, sondern ein Stil bewahrendes modernisiertes Sportzentrum aus dem Jahr 1981. Auch die Spielerunterkunft, das Fünf-Sterne-Parkhotel nebenan, stammt aus dieser Zeit. Ebenfalls alles stilecht, bis hin zur Tito-Suite. »He was the hero of my father - God bless America!«, ist dort unter hunderten Eintragungen aus aller Welt in einem der dicken Gästebücher zu lesen. »Der Marschall ist und bleibt Serbiens wertvollster Werbeträger«, kommentiert Hotelmanager Nicola Dreka trocken.

Weiter östlich, fast an der rumänischen Grenze, liegt Vrsac. Ein Name mit landesüblicher Konsonantenhäufung. Für nichtslawische Gäste dürfte er wohl oft ein Zungenrätsel bleiben. »Dennoch wollen wir als Gastgeber natürlich allen Heimspielgefühl vermitteln«, versprechen Ivana Cikic und Jelena Dodig. Die eine ist die PR-Frau des Sportkomplexes, die andere Direktorin der Villa Breg, des feinen Mannschaftshotels. Die Halle ist, 2001 eröffnet, die modernste Serbiens.

»Die Karten für die 4000 Plätze sind so gut wie weg«, sagt die Leiterin der Tourismusorganisation Tatjana Palkovac. Spieler wie Fans dürften Vrsac als weltoffene Stadt erleben. Sie ist schon seit Jahrhunderten multikulti und hat heute drei Amtssprachen: Serbisch, Rumänisch und Ungarisch.

Das EM-Endspiel wird am 29. Januar vor 20 000 Zuschauern in der Belgrad-Arena angepfiffen. Für deren Direktor Dejan Petricevic ist das eigentlich »business as usual«, wie er lächelnd meint. Denn ohne ständige Großveranstaltungen, also Rockkonzerte, Profisport oder Politmeetings, wäre das 70-Millionen-Euro-Objekt wirtschaftlich gar nicht tragfähig. In seiner Bauzeit von 1992 bis 2004 (!) spiegeln sich übrigens die jugoslawischen Bürgerkriegswirrnisse und die Nato-Luftangriffe von 1999 auf Belgrad wider. Das Handball-EM-Finale gerade hier könnte einen weiteren Schritt zur Normalität signalisieren.

Vor »unpopulären Entscheidungen«?

Ob es ein solches Signal wird, hängt nicht unwesentlich von den Stimmungen im politischen Raum ab. Beispielsweise wurde Staatspräsident Boris Tadic dieser Tage in der Presse mit der Aussage zitiert, dass nicht Kosovo, sondern Wirtschaft und Staatshaushalt die wichtigsten Problem des Landes seien. Dass aber, was Kosovo anginge, »die Regierung heute auch zu unpopulären Entscheidungen in der Lage « wäre - was auch immer das konkret bedeuten mag. Hoffentlich staatsmännisch Kluges. Sonst wäre es Wasser auf die Mühlen nationalistischer Spinner, die sich ganz gern als Sportfans verkleiden.

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