Schuld ohne Sühne

Biografie des SS-Schreibtischtäters Walther Rauff, der nie bestraft wurde

Simon Wiesenthal zeigt 1984 ein Bild von Rauff.
Simon Wiesenthal zeigt 1984 ein Bild von Rauff.

Es ist nicht bekannt, ob Walther Rauff anwesend war, als die SS im Herbst 1941 im KZ Sachsenhausen etwa 50 sowjetische Kriegsgefangene in einem Kastenwagen vergiftete. Er selbst hat später behauptet, bei diesem Test nicht dabei gewesen zu sein. Das geht aus der Biografie hervor, die der frühere BRD-Botschafter Heinz Schneppen verfasst hat.

Er habe nur eins der speziell hergerichteten Fahrzeuge im Hof des Reichssicherheitshauptamts in Berlin besichtigt und die Gaswagen niemals im Einsatz gesehen, gab Rauff nach dem Zweiten Weltkrieg an. Fest steht allerdings, dass er mit der Entwicklung zu tun hatte. Der Mann, der es bis zum SS-Standartenführer brachte, war als Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt für die Ausrüstung zuständig. Er ließ den Chef der hauseigenen Kfz-Werkstatt befragen, ob es möglich sei, luftdichte Lastwagen so umzubauen, dass die Abgase ins Innere geleitet werden. Die Antwort lautete, technisch sei dies eine »Kleinigkeit«.

Schließlich sind in derartigen Gaswagen hinter der Front in Polen, Jugoslawien und in der Sowjetunion eine halbe Million Menschen durch Abgase erstickt worden. Die Opfer waren fast alle Juden. Die Gaswagen gelten als Vorstufe des Massenmords mit Zyklon B in Ausschwitz und anderen Vernichtungslagern. Dass Rauff den Umbau und die Verwendung der Wagen koordinierte, beweist seine Unterschrift im Briefverkehr mit den beteiligten Fahrzeugwerken Graubschat oder der Aktenvermerk, es seien von Dezember 1941 bis Juni 1942 mit drei Wagen »97 000 verarbeitet« worden.

Trotz erdrückender Beweise konnte Rauff nicht zur Verantwortung gezogen werden. Er entkam nach dem Zweiten Weltkrieg über einige Zwischenstationen nach Chile, das ihn nicht auslieferte, als die bundesdeutsche Justiz dies 1962 begehrte. Die Rauff zur Last gelegten Verbrechen galten nach dem damaligen chilenischen Recht bereits als verjährt. Über diese Entscheidung des Obersten Gerichts konnte sich später der sozialistische Präsident Salvador Allende nicht hinwegsetzen. Sein Nachfolger, der Putschist, Diktator und General Augusto Pinochet, tat es erst recht nicht. Überliefert sind Befürchtungen chilenischer Offiziere, es könne die Disziplin ihrer Soldaten untergraben, wenn ein Mann verurteilt würde, der doch nur Befehle befolgt habe.

Der Nazijäger Simon Wiesenthal regte eine Abschiebung an. Beate Klarsfeld reiste nach Santiago, besprühte dort Rauffs Haus und demonstrierte vor dem Präsidentenpalast. Dies alles nützte nichts. 1984 starb Walther Rauff, der sich selbst einmal zynisch als staatlich geprüften Kriegsverbrecher bezeichnet hatte, im Alter von 77 Jahren an Lungenkrebs. An seinem offenen Grab zeigten Unverbesserliche den Hitlergruß und riefen »Sieg Heil«.

Walther Rauff diente ab 1924 in der Flotte - zunächst als Matrose, ab 1927 als Seeoffizier. Doch nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau - der Ehrenkodex der Kriegsmarine ließ keine geschiedenen Männer zu - bewarb er sich 1938 beim Sicherheitsdienst (SD) der SS und wurde im Reichssicherheitshauptamt angestellt. 1945 wurde er in Italien geschnappt. Ihm gelang es jedoch 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zu fliehen und sich zunächst in Rom zu verbergen. Die katholische Kirche half ihm dabei. 1948 arbeitete Rauff in Damaskus als Berater des Generalstabschefs der syrischen Armee. Seine Aufgabe: der Aufbau eines Nachrichtendienstes. Syrien warb damals auch andere Nazis an. Nachdem ein Putsch des Generalstabschefs scheiterte, musste Rauff, der als dessen Vertrauter galt, Damaskus verlassen. Seine in Syrien erlangten internen Kenntnisse kaufte ihm dann das israelische Außenministerium ab. Es wusste zwar, dass es sich mit einem SS-Offizier einließ, doch angesichts der Bedrohung Israels durch arabische Nachbarstaaten schienen Rauffs Informationen wichtiger zu sein als der Holocaust. Zur Entlastung lässt sich wenigstens sagen, dass die konkrete Verantwortung Rauffs für die Gaswagenmorde damals nicht bekannt war.

Belegt sind darüber hinaus Kontakte zum britischen Geheimdienst und ein zeitweiliges Interesse von US-Geheimdienstlern an einer Zusammenarbeit. Außerdem warb der Bundesnachrichtendienst den früheren SS-Standartenführer an. Er sollte sich im Kuba Fidel Castros umsehen. Daraus wurde aber nichts, weil Rauff kein Visum erhielt. Als die bundesdeutsche Justiz den Mann ins Visier nahm, brach der BND die Beziehung ab. Es sollen aber noch 20 000 D-Mark geflossen sein, möglicherweise als Schweigegeld. Einen Beweis dafür gibt es allerdings nicht.

Darüber hinaus findet sich eine Aussage, Rauff habe sich nach Pinochets Putsch in Chile an gewaltsamen Vernehmungen von Regimegegnern beteiligt. Bekannt sind Besuche in der berüchtigten deutschen Colonia Dignidad, wo Oppositionelle gefoltert wurden. Doch hier liegt viel im Dunkeln. Fest steht hingegen: Rauff hat in Chile viele Jahre als Verwalter eine Fischfangfirma gearbeitet. Er galt bei den Mitarbeitern als guter Chef, bei den Nachbarn als unbescholtener Bürger. Der einzige Nachteil seiner Vergangenheit: Er konnte Chile schließlich nicht mehr verlassen.

Biograf Schneppen hält sich an die Fakten, prüft Informationen kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt. So nennt er es eine Legende, dass Rauff ein führender Kopf einer Odessa genannten Fluchtorganisation gewesen sei, die Altnazis auf dem sogenannten römischen Weg nach Südamerika schleuste. Die Unterstützung der katholischen Kirche nahm Rauff nach Schneppens Ansicht nur für sich selbst in Anspruch. Schneppen gelingt es auch, ein Charakterbild Rauffs zu zeichnen. Der Schreibtischtäter rechtfertigte seine Vergehen damit, es sei Krieg gewesen. Bis zuletzt genehmigte er sich am Geburtstag Adolf Hitlers, einen zu trinken.

Heinz Schneppen: »Walter Rauff. Organisator der Gaswagenmorde«, Metropol, 232 S. (brosch.), 19 Euro

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