Spiritualität für die Massen

Ausstellung »Urban Cultures of Global Prayers« in der NGBK

  • Anouk Mayer
  • Lesedauer: 4 Min.
Gut organisiert und riesig: Foto einer Halle, die von der christlichen Pfingstbewegung in Nigeria genutzt wird.
Gut organisiert und riesig: Foto einer Halle, die von der christlichen Pfingstbewegung in Nigeria genutzt wird.

Der Titel ist so sperrig wie die Schau: »The Urban Cultures of Global Prayers«, zu deutsch »Die städtischen Kulturen der globalen Gebete«, heißt die aktuelle Ausstellung der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) in der Kreuzberger Oranienstraße. Eine überaus filmlastige Schau, die sich weniger dem künstlerischen Aspekt widmet als vielmehr der soziologischen Fragestellung, welche Rolle neue religiöse Bewegungen in den Metropolen der Welt spielen und wie sie die Städte verändern.

Schon die eher wissenschaftlich formulierte Fragestellung zeigt: Hier geht es weniger um die ästhetische Darstellung, als vielmehr um filmische und fotografische Dokumentationen.

Entstanden sind die Arbeiten im Kontext des transdisziplinären Kultur- und Forschungsprojekts »global prayers - erlösung und befreiung in der stadt«, das vom Verein metroZones gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt und der Europa-Universität Viadrina durchgeführt wird. Das Projekt will ausloten, wie die neuen Glaubenskulturen im städtischen Raum funktionieren, ja diesen zum Teil dominieren und verändern.

Naturgemäß mussten sich die beteiligten Künstler für ihre Studien weit weg bewegen, nach Mumbai in Indien, Rio de Janeiro in Brasilien und ins nigerianische Lagos. Denn trotz der im umfangreichen Begleitheft aufgestellten These, dass »große Städte immer auch Orte religiöser Innovation sind«, spielen sich die neuen spirituellen Praktiken - zumindest die, die große Menschenmengen anziehen - hauptsächlich in den armen, überbevölkerten Megacities der Dritten Welt ab, weniger in den westlichen Großstädten.

Nur drei der 15 ausgestellten Foto-Serien, Videoinstallationen und Soundscapes sind in Europa und den USA entstanden, davon eine in Berlin - und zwar die Filmdokumentation »Raumtausch« der bildenden Künstlerin Dorothea Nold und der Medienkünstlerin Magdalena Kallenberger über junge christliche Gruppierungen, die Gottesdienste in Cafés, Kinos und Nachtclubs feiern. In vier ca. zehnminütigen Videosequenzen wird gezeigt, wie Gruppen junger Leute etwa das Kino Babylon in Mitte oder den Club Lovelite in Friedrichshain mit Kerzen und Bannern in eine temporäre Kirche umfunktionieren, mit Gitarren und Gesang Stimmung machen und schließlich eine Art Danksagung an Gott proben, in einer ungewohnt lockeren und ungezwungenen Sprache, die wenig zu tun hat mit klassischen Predigten. Allerdings: Schon diese eine Arbeit ist gut eine Dreiviertelstunde lang. Will man nur einen Teil der in der Schau vertretenen Filme sehen, ist der Nachmittag weg.

Obwohl durchaus interessante Beiträge dabei sind: Lía Danskers Film »I want to believe« zum Beispiel vereint Interviews mit jugendlichen Strafgefangenen in Mexiko Stadt, die über ihren Glauben ebenso freimütig Auskunft geben wie über ihr Leben als Bandenmitglieder. Oder die in einem extra durch einen Vorhang abgeteilten Raum gezeigte zwölfminütige Video-Schleife der Filmemacherin Surabhi Sharma, die in der lauten und chaotischen indischen Millionenstadt Mumbai Festlichkeiten der Bhojpuri-Gemeinde gefilmt hat: ein Meer von Menschen, Farben und Eindrücken, unterlegt von Gesang und rhythmischem Klatschen.

Einen Raum weiter findet man die Videoinstallation des Berliner Arztes und Filmemachers Jens Wenkel, der drei Jahre in Afrika für »Ärzte ohne Grenzen« tätig war und sich, um die religiös motivierten Heilserwartungen seiner Patienten besser zu verstehen, in verschiedenen Kirchen umgesehen hat. Seine filmischen Dokus, gezeigt auf sechs Bildschirmen und unterlegt vom Hupen und Tröten des Verkehrschaos', führt in die Megacity Lagos, in ein organisiertes religiöses Camp, in dem die schieren Größenverhältnisse beeindrucken: fabrikartige Gebetshallen von der Größe von mehreren Fußballfeldern bieten Raum für mehrere Hunderttausend Gläubige.

Ebenfalls u.a. in Lagos entstanden ist die Fotoserie über Pfingstkirchen des Künstlerpaars Sabine Bitter und Helmut Weber; riesige Säle, Busse und Stadien machen klar, welch gut organisierte Infrastruktur hinter diesen Pfingstbewegungen steht. Weitere Fotoserien zeigen etwa Kleidung und Insignien von Priestern oder den Kult um den Tod in Mexiko, dem in - für uns erstaunlich - kitschigen Symbolen gehuldigt wird. Alles in allem wirkt die Schau wie ein Themenabend auf Arte und dürfte vor allem Stadtentwickler und Ethnologen anziehen.

Bis 8. Januar, tägl. 12-19 Uhr, Do. bis 20 Uhr; NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg

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