Proletariat und Prada

Gayle Tufts & Band laden ins Tipi am Kanzleramt zu »Let it Show!«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

»Everybody’s Showgirl« is back. Trug Gayle Tufts letztjährige Show noch diesen Titel, so nannte sie die Ausgabe für das Jahr 2011 in Abwandlung eines beliebten US-Wintersongs »Let it Show!«. Auch wenn sich die Spielstätte verkleinert hat, vom Admiralspalast zum Tipi am Kanzleramt, tat das der explosiven Energie dieses binationalen Talentbündels keinen Abbruch.

Die vier Musiker ihrer Band sorgten für besten Sound, die Sänger Christopher Hemmans, ein farbig-fülliger Bariton aus New York, und Anton Perez, ein zierlicher philippinischer Tenor, boten den Rahmen für Tufts Gesangs- und Tanzauftritte.

Denn um sie drehte sich der Abend, selbst der nahende Winter war nur eines der Themen in einem großen Personality-Unternehmen. Das bestach durch das Gesamtpaket aus comedianhafter Moderation, vielfältigen Songs und temperamentvollen Tanzbeigaben. Gayle Tufts ist einfach eine begnadete Entertainerin mit sehr persönlichem Zugang zu ihrem Publikum, und selbst an einem Mittwoch mit anfangs müder Reaktion bringt sie am Ende den Saal zum Kochen. Zwei Zugaben dankten für die Ovationen.

Man spürt, dass sie ganz bei sich ist, nichts vorgaukelt, was sie nicht einlösen kann: Tufts ist Tufts, ob im Interview oder auf der Bühne. Da jedoch blüht sie besonders auf, ohne aufzudrehen. Sie plaudert in ihrem ganz eigenen Mix aus Englisch und Deutsch, redet sich bisweilen fast um Kopf und Ausschnitt, dies jedoch so witzig, schlagfertig und wach im Blick auf ihr Umfeld, dass man seine Freude hat. Tufts darf als Amerikas liebenswertestes Geschenk an Berlin gelten.

Geboren wurde sie, wie man erfährt, in Massachusetts, Oma noch Bäuerin mit 14 Kindern, in einer kleineren Stadt so etwa wie Cottbus am Meer. Vor 21 Jahren trieb es sie nach Berlin, wo sie sich mit Talent und zähem Fleiß an die Spitze vielseitiger Unterhaltung arbeitete. Endlich abgenommen, verkündet sie stolz: My ass had the size of Luxemburg! Nun, mit Anfang 50, sei sie noch immer kein Winterschlussverkauf, sondern die Hauptsaison.

Das beweist sie unumstößlich. Wie schlampig es in Amerika zugehe, schimpft sie, wettert gegen jene Werbestrategen, die Arbeitslosigkeit als »berufliche Neuorientierung« verkaufen, schwärmt von den Shopping Malls der Stadt, mit Ausnahme des Lego-Lands »Alexa«, und philosophiert über den Nutzen des Kalten Krieges: Alles war damals klar, jetzt gehe es um die Balance zwischen Proletariat und Prada.

Die charmante Attacke gegen ihre Nachfolgerin im Tipi, Vicky Leandros, bietet die Steilvorlage für ein Staunen, dass das Geburtsland von Herkules, Mouskouri und Demokratie pleite ist. An den vielen Schnee in ihrer Heimat erinnert sie sich und den ersten Ballettbesuch in Boston: »Der Nussknacker« und seinen Zauber. Das ist Anlass für eine Reminiszenz, mit Hemmans als Titelheld, Perez als Ballerina, Tufts als dicker Nuss; Tina Turners »Nutbush City« löst alles auf ins Heute. Madonna aber sei ihr Medikament, sagt Tufts und singt prompt zwei der Titel, »Holiday« und »Frozen«, jeweils in eigener Version.

Über wie viele Facetten die Gute-Laune-Verbreiterin verfügt, zeigt sie in ihrer Hommage an die vielen durch Aids verstorbenen Freunde: Zart und leuchtend hell wird da die sonst so kraftvolle Stimme, wenn sie traurig resümiert, »that all the good things never last«. Wie sie durch die Bemerkung, im Winter sehe man den Atem und dass man noch lebe, den Bogen zurück schafft, in den Tanz der Hormone und Endorphine und zum Mitklatsch-Song »Relight my Fire«, ist hohe Schule des Entertainments.

Sie erkenne schon die »True Colors« singt sie am Schluss und meint damit die Farben der Krokusse im Frühling, auf den alle warten. Und wir warten auf Gayle Tufts nächstes Programm, nur sie und Klavier, von dem sie als eine der Zugaben eine köstliche Kostprobe gab.

Bis 25.12.+31.12.-15.1., Tipi, Große Querallee, Tiergarten, Kartentelefon (030)-39 06 65 50, Infos unter www.tipi-am-kanzleramt.de

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