Rätseln um Radovan Karadzic

SFOR-Manöver im mutmaßlichen Zufluchtsgebiet

  • Martin Schwarz, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Die NATO-geführten Sicherheitstruppen in Bosnien (SFOR) sind für drei Tage ins Manöver gezogen. In ihrem Übungsgelände im Südosten soll sich der frühere Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, versteckt halten. Doch diene die Übung nicht dessen Festnahme, versichern SFOR-Quellen.
Am Dienstag sah sich SFOR-Sprecher John Ruth genötigt, den Spekulationen um eine unmittelbar bevorstehende Verhaftung des ehemaligen Präsidenten der bosnischen Serbischen Republik, Radovan Karadzic, ein Ende zu bereiten: »In den vergangenen 72 Stunden gab es mehrere Berichte über verstärkte Aktivitäten der SFOR in Verbindung mit einer Verfolgung und Festnahme von Radovan Karadzic. Es waren alles Spekulationen und nichts davon ist wahr.« Schon vor einer Woche hatte die montenegrinische Zeitung »Dan« gemeldet, ein Verhaftungsversuch der britischen Spezialeinheit SAS an der Grenze zu Montenegro sei fehlgeschlagen. Zehn britische Soldaten seien beim Schusswechsel mit Leibwächtern Karadzics ums Leben gekommen, zwei weitere verletzt worden. Der britische »Observer« brachte unter Berufung auf SFOR-Quellen eine ähnliche Version: Tote habe es zwar nicht gegeben, aber zwei verletzte Briten. »Nach unseren Informationen gab es tatsächlich einen Verhaftungsversuch, der misslang. Aber die Briten würden das nie offiziell bestätigen«, sagte Viktor Gobarev, Balkan-Experte des USA-Politinstituts Stratfor dieser Zeitung. Schließlich arbeiten die Elitesoldaten verdeckt in Bosnien. Selbst der Sprecher des bosnischen Außenministeriums in Sarajevo, Amir Kapitanovic, bestätigte gegenüber ND: »Es ist ganz eindeutig, dass in diesen Wochen Kommando-Einheiten der Briten, Franzosen und Deutschen auf unserem Territorium operieren, um Karadzic und andere festnehmen zu können.« Die Örtlichkeit des angeblichen Verhaftungsversuchs Ende letzter Woche würde durchaus zu den Informationen über Karadzic passen: Er selbst ist montenegrinischer Abstammung und seit vier Monaten lebt seine Mutter Jovanka wieder dort. »Wir wissen, dass er regelmäßig nach Montenegro reist. Wir können mit unseren Polizei-Einheiten eigentlich nur 60 Prozent unserer Grenzen überwachen, mich wundert es daher gar nicht, dass Karadzic beim Grenzübertritt keine Schwierigkeiten hat«, gab Kapitanovic zu. Vor einer Woche weilte Bosniens Außenminister Zlatko Lagumdzija - inzwischen zum Ministerpräsidenten gewählt - in Washington. Die Verhaftung des Führers der bosnischen Serben, der vorm Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist, war wesentliches Thema eines Gesprächs mit USA-Außenminister Colin Powell. Selbst in der Serbischen Republik hat man sich inzwischen gefügt: Das Parlament der »Entität« wird am 27. Juli ein Gesetz zur Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach Den Haag verabschieden. Die Eile hat durchaus Ähnlichkeit mit der Eile Belgrads bei der Auslieferung Slobodan Milosevics: Mladen Ivanic, dem Premier der Republik, wurde in Washington ebenfalls finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt, wenn sich Karadzic bald im Flugzeug nach Den Haag befände. Dort erhofft man sich von einer Festnahme Karadzics Informationsnachschub, um Slobodan Milosevic auch die Verwicklung in Kriegsverbrechen während des Bosnien-Krieges nachweisen zu können. Denn bisher hapert es an belastenden Details. Jovanka Karadzic indes erklärte dem bosnischen Magazin »Ekstra«, ihr Sohn werde sich keinesfalls freiwillig dem internationalen Gericht stellen, das er weder für ehrenhaft noch für unabhängig hält. Doch fürchte sie serbische Verräter des Karadzic-Verstecks. Derweil kommen immer mehr bizarre Details zum Lebenswandel des Gesuchten an die Öffentlichkeit: Er soll im Gewand eines orthodoxen Priesters von Versteck zu Versteck hetzen und sich seiner Haarpracht entledigt haben. Beschützt werde er nicht mehr von Polizei-Einheiten der Serbischen Republik, sondern von einer kleinen Privatarmee, die angeblich von seiner Serbischen Demokratischen Partei finanziert wird. Ministersprecher Amir Kapitanovic jedoch meint: »Ich glaube, es handelt sich nur noch um wenige Wochen, bis auch Karadzic in Den Haag sitzt.«
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