Die Androiden verschwinden

Kommentar von Thomas Blum

  • Lesedauer: 2 Min.

Die FDP hat in diesem Jahr 5000 ihrer Mitglieder verloren. Sie hat das, was man als »Imageproblem« zu bezeichnen pflegt: Ihre Lüge von der glückselig machenden Marktwirtschaft wird ihr umso weniger geglaubt, je öfter sie heruntergebetet wird. Ihr in den Medien präsentes Personal besteht aus eilfertigen Lakaien des Kapitals, kaltschnäuzigen, von Kontobewegungen besessenen Strebern und Sprechautomaten, die sich nicht gerade krampfhaft zu verbergen bemühen, dass sie Politik hauptsächlich als Lobbyarbeit für Konzerneigner und andere Profitmaximierer begreifen. Dass Politik überhaupt anderes sein könnte als Bankgeschäft, Steuerspartabellenrechnen und Anlageberatung, davon haben sie nicht die Spur einer Vorstellung. Rösler, Lindner, Bahr, Döring. Wer soll freiwillig Leute wählen, die wirken wie Androiden, die im selben Labor zusammengeschraubt wurden? Oder gar ihrem Verein beitreten? »Von Kollegen, die Wählerumfragen machen, höre ich, dass sich viele Befragte nicht mehr trauen zuzugeben, dass sie FDP wählen würden«, sagte der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer der »Frankfurter Rundschau«. Das ist verständlich. Wer will schon in der Öffentlichkeit geohrfeigt werden? Eine Ursache dafür, dass auch CDU und SPD seit Jahren stetigen Mitgliederschwund verzeichnen, könnte ihre Ununterscheidbarkeit sein. Aber auch die LINKE verlor 2011 fünf Prozent ihrer Mitglieder: ähnlich den anderen verströmen ihre Funktionsträger nicht selten eine gewisse Betulichkeit.

Warum hingegen die Grünen im selben Zeitraum 6000 neue Mitglieder gewinnen konnten, dürfte komplexere Gründe haben. Liegen kann das nicht allein am »Fukushima«-Effekt und den saturierten Achtundsechziger-Zahnärzten und Alternativmedizin-Apothekern, die heute den Neogrünliberalen ihre Stimme geben. Bei den Grünen handelt es sich um eine wohlsituierte Öko-Schickeria, die die Ausstattung ihrer Eigenheime mit tropenholzfreien Elektro-Brotmessern, solarbetriebenen Design-Espressomaschinen und anderem Lifestyle-Schnickschnack erfolgreich als »Rettung der Umwelt« deklariert. Doch durch die zahlenmäßige Stärke dieser Klientel allein lässt sich der enorme Mitgliederzuwachs nicht erklären. Vielmehr handelt es sich bei den Grünen um die idealtypische Ausformung einer »postideologischen« Partei. Gelungen ist ihnen, was sonst nur den »Piraten« gelang: den Begriffen Links und Rechts die Bedeutung zu entziehen und sie durch »modern« und »unmodern« zu ersetzen. Im Gegensatz zur FDP wird den Ökoliberalen ihre Lüge von der glückselig machenden »Nachhaltigkeits-« und Kuschelmarktwirtschaft geglaubt. Sie erwecken den Eindruck, man könne eine moralisch einwandfreie Wohlfühlgesellschaft innerhalb des kapitalistischen Betriebs etablieren: Bio-Dinkel-Baguette und schadstoffarme Kampfpanzer, fair gehandelter Espresso und klimaschonende Giftmüllexporte, Tai-Chi-Entspannungsübungen und warmherziger Sozialabbau. Viele wollen teilhaben an der Illusion vom richtigen Leben im falschen.

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