Spieler und Weltenwanderer

Umberto Eco zum 80. Geburtstag

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.
Spieler und Weltenwanderer

Ein fanatischer Wahrheitssucher und ein notorischer Schwindler: Umberto Eco, vor 80 Jahren in Alessandria (Piemont) geboren (Foto: dpa/Espinosa), Semiotik-Professor an der Uni Bologna; berühmt geworden durch den Roman »Der Name der Rose« (deutsch 1982), ist ein unermüdlicher Aufklärer und zugleich Verfasser unzähliger rätselvoller Bücher und Texte, ein Jongleur mit Gedanken und Sprache.

Passt das überhaupt zusammen: Aufklärung und Verrätselung? Vor allem mit seinen großen Romanen hat Eco uns gezeigt, wie das geht, einen spannenden Plot mit Mystik und dunklem Spiel zu verbinden. Was für ein umfangreiches Werk: Ich hole mir alle Bücher von ihm, die ich im Laufe der Zeit gelesen und gesammelt habe aus dem Schrank. Seiner Spur »Die Kunst des Bücherliebens« (2006) bin ich getreu gefolgt. Und dabei ist dieser Stapel doch nur ein Bruchteil dessen, was Umberto Eco schrieb und veröffentlichte.

Er hat ein phänomenales Gedächtnis, eine große Bibliothekswohnung und ein riesengroßes Archiv, aus dem er gerade wieder für seinen jüngsten Roman »Der Friedhof in Prag« (2011) viele originelle historische Illustrationen hervorzauberte. Im Roman »Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana« (2004) hat ein Mann nach einem Unfall sein biografisches Gedächtnis verloren. Anhand von Bildern, Heftchen, Comics, Reklamen, Werbung, Plakaten - fast alles aus Ecos Archiv - kann er nicht nur seine eigene Geschichte, sondern die einer ganzen Generation unter allen Verdrängungen wiederfinden.

Am besten also, auch beim Wiederlesen dem Systematiker Eco zu folgen, sich nach seinem Vorschlag eine »Unendliche Liste« (2009) anzulegen und zu sortieren. Hier die Romane, neben den schon genannten finden sich zum Beispiel noch »Das Foucaultsche Pendel« (1989) und »Die Insel des vorigen Tages« (1995). Daneben kommen die Schriften zu Philosophie und Religion (unter anderem »Vier moralische Schriften«, 1997). Aber dann wird es zu kompliziert, denn da sind die vielen Texte zu Sprache, Schrift, Semantik und Symbolen wie Labyrinth, Turm zu Babel, Spiegel usw. Alles vermischt sich, Reales und Irreales, man kann sich verlaufen »Im Wald der Fiktionen« (1994).

Und dann gibt es noch zwei voluminöse Text-Bild-Bände: »Die Geschichte der Schönheit« (2004) und »Die Geschichte der Hässlichkeit« (2007), wobei es hier nicht allein um schöne oder hässliche Bilder geht. Hier fand ich eine Äußerung des Ästheten Eco wieder, die mich schon beim ersten Lesen verwunderte: Eco erklärt nämlich die Uta von Naumburg zur schönsten Frau der Welt. Da ich in Naumburg - sozusagen mit allen möglichen richtigen und falschen Theorien über Ekkehard und Uta - konnte ich nur sagen: Danke, Umberto Eco! Aber warum, so fragte ich mich, erklärte er ausgerechnet diese verschlossene, halb stilisierte, halb realistische Frauenfigur zur Schönheit?

Versuch einer Antwort: Umberto Eco, der über das Mittelalter promovierte und die Zeit wie kaum ein anderer kennt, macht uns bewusst, dass Schönheit (und ihr Gegenbild, Hässlichkeit) dort ihren letzten Zufluchtsort hat, wo die alte klösterliche Welt und die neue säkulare Welt sich kreuzen. »Die Menschen von ehedem waren groß und schön, die heutigen sind wie unreife Kinder und Zwerge«, heißt es in »Der Name der Rose«. Dann geht die Abtei samt Bibliothek in Flammen auf, und damit ist das Ende der Schönheit gekommen.

In diesem Schnittpunkt bleibt der Spieler und Weltenwanderer Eco nicht. Seine Gedanken schwingen sich wie das Foucaultsche Pendel über die Erde hinweg bis zum Ende des Raumes, bis zum Ende der Zeit - vom Altertum bis zum World Wide Web. Und manchmal gibt es im Mittelalter, im Barockzeitalter oder im 19. Jahrhundert durch all die schrecklichen Verschwörungstheorien ein paar Verzögerungen.

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