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Alles gesagt

Die Einstürzenden Neubauten fühlen sich neuerdings »very Pestalozzi«

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 3 Min.
»Wer’s glaubt, wird selig«: Blixa Bargeld, ein Düsterdandy von 65 Jahren.
»Wer’s glaubt, wird selig«: Blixa Bargeld, ein Düsterdandy von 65 Jahren.

Neulich war es wieder so weit: Ein weiteres, groß begangenes Jubiläum einer 80er-Koryphäe. Am 1. April 1980 hatte sich in Westberlin eine kauzige Gruppe Heranwachsender um den gerade mal 21 Jahre alten, doch bereits damals schillernd-geheimnisvollen Blixa Bargeld als Band formiert, um fortan mit Schrott Musik zu machen – und damit die geistigen Grenzen zwischen Musik und Geräusch zum Einsturz zu bringen. Geklappt hat das im Laufe der Zeit ziemlich gut. Sogar so gut, dass nun, 44 Jahre später, ein großer Festakt zu Ehren der Einstürzenden Neubauten in der Berliner Betonhalle begangen wurde.

Eine Jubiläumsband aber sind die Neubauten im Gegensatz zu anderen Weggefährten von damals nach wie vor nicht, zumindest nicht vordergründig. Natürlich wird der Blick über die Jahre immer mal wieder in die Vergangenheit gerichtet, der Staub auf dem Material von damals abgeklopft, die eine oder andere Anekdote erzählt. Nicht zuletzt gibt es ja auch ein reges mediales Interesse. Doch in regelmäßigen Abständen präsentiert sich die Band dann wieder ganz auf der Höhe der Zeit.

Plattenbau

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So auch auf dem vier Tage nach ihrem Jubiläum erschienen, mittlerweile 15. Album »Rampen (apm: alien pop music)«. »Alles schon geschrieben/Alles schon gesagt«, singt Bargeld im Stile eines desillusionierten Greises direkt zu Beginn des Albums im Song »Wie lange noch?«, und für einen kurzen Moment steht zu befürchten, dass seine ersten Worte in diesem Falle auch die letzten sein könnten. Doch wie er in regelmäßigen Abständen betont, führt er gern in die Irre, und so finden sich im Laufe des Albums doch eine Reihe von Zeilen und Sinneinheiten, die er offenbar für mitteilungswürdig hielt. Wortkarg jedenfalls gibt sich der mittlerweile 65 Jahre alte, überaus würdig gealterte Düsterdandy auf den 15 Songs und insgesamt über 70 Minuten des Albums tatsächlich keineswegs.

Dazu kommt, dass Bargelds sonderbar verschrobener, ganz eigener Humor an allen Ecken und Kanten aufblitzt und einen nach wie vor in den Bann zieht: »Everything Will Be Fine« singt er etwa mit einnehmendem, geradezu schwülstigen Pathos im gleichnamigen Song, während sein Alter Ego auf typisch Berlinerisch-schnippische Weise aus einer anderen Ecke der breiten Soundlandschaft murmelt: »Wer’s glaubt, wird selig«. Im Song »Pestalozzi« wiederum singt er in sich ruhend über eine bedrohlich anmutende Soundkulisse: »I’m sitting in my Chair/Feeling very Pestalozzi«. Darüber röhrt er mit zweiter Stimme wie ein Althirsch. Etwas ratlos fragt man sich, ob hier gerade Ent- oder Anspannung erzeugt wird.

Im Vergleich zum für Neubauten-Verhältnisse eher zahmen, mitunter chansonesk ausgefallenen Vorgängerwerk »Alles in allem« präsentiert sich die Band auf »Rampen (apm: alien pop music)« nun wieder deutlich sperriger. Der Bass wummert, die Maschinen klirren, die Grundstimmung mäandert fortwährend zwischen Nervosität und Entspannung. Dazu flüstert und faucht, jault und wimmert Bargeld wie eh und je. Neu ist das, was die Band in Songs wie »Isso Isso« oder »Ist Ist« präsentiert, natürlich keineswegs, zumal im Kontext des Neubauten-Kosmos. Aber es funktioniert noch immer – und darum geht es am Ende. Beweisen muss die Band längst nichts mehr.

Einstürzende Neubauten: »Rampen (apm: alien pop music)« (Potomak)

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