Von Wild-West die Nase voll

Gewerkschaft Transnet droht mit Ausstieg aus Bündnis für Arbeit mit der Deutschen Bahn

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Konflikt um die Schließung von Werken der Deutschen Bahn (DB) AG sind Beschäftigte und Gewerkschaft mit ihrer Geduld am Ende. Rund 10000 Eisenbahner demonstrierten gestern vor der DB-Zentrale am Potsdamer Platz gegen die Pläne des Konzerns, die 6000 Kollegen den Arbeitsplatz kosten sollen.
Dass bei einer Transnet-Kundgebung, allerdings vorm offiziellen Demobeginn, Eier an die Scheiben der DB-Zentrale fliegen, hat Seltenheitswert. Auch dass der besonnene Transnet-Chef Norbert Hansen mit dem Auszug aus dem bei der DB geltenden »Bündnis für Arbeit« droht, wenn der Konzern seine Schließungspläne nicht aufgibt, war so noch nie zu hören. Bislang habe die Gewerkschaft Privatisierung und Sanierung der Deutschen Bahn »konstruktiv« begleitet, erklärte Hansen am Donnerstag. Im Gegenzug habe man über ein tarifvertragliches Regelwerk die sozialen Interessen der Mitglieder wahren können. Diese Chance sieht Hansen nicht mehr, wenn die DB bei ihrem Schließungskonzept mit dem »überzogenen Personalabbau« bleibt. In dem Fall verlasse DB-Vorstandschef Mehdorn den Boden des Beschäftigungsbündnisses. Man sehe sich nicht in der Lage, dieses fortzuführen, betonte Hansen. Transnet verlangt ein Signal vom DB-Vorstand, dass dieser über die derzeitigen Pläne nicht nur mit sich reden lässt, sondern dass das maßgeblich von der Unternehmensberatung Roland Berger erarbeitete Papier außer Kraft gesetzt wird - faktisch also ein Moratorium für die Bahnwerke verkündet wird.
Dafür reichen Transnet die Ungereimtheiten schon in den Teilunterlagen, die man bisher nur kennt, aus. So wären, erläuterte Hansen, die Unternehmensberater nur von den derzeitigen Status quo ausgegangen. DB-Vorstand und Politik betonten aber immer, dass der Verkehr auf der Schiene und auch die Bahn wachsen sollten. »Wie soll das funktionieren, wenn zugleich Kapazitäten abgebaut werden«, fragte sich der Transnet-Chef und nennt die wirklich verfolgte Strategie einen »verdeckten Schrumpfkurs.«
Hansen, der sich zu einem nötigen Personalabbau in den Bahnwerken bekannte, lehnte aber konkrete Zahlenangaben ab. Das hänge eben davon ab, wie sich der Schienenverkehr in den nächsten vier, fünf Jahren entwickelt, betonte er und wies darauf hin, dass die DB in den nächsten Jahren 8,5Milliarden Mark in neue Technik investiert, dass die Bahnwerke bislang eher daran gehindert wurden, Aufträge von Dritten hereinzuholen, und dass es das Versprechen des Vorstands gibt zu prüfen, inwieweit ausgelagerte Aufträge wieder in den Konzern zurückgeholt werden können. Genug Arbeit für die Werke, so das Fazit, wäre eigentlich da.
Auch vom selbstherrlichen Umgang des DB-Chefs Mehdorn scheint Hansen inzwischen die Nase voll zu haben. Nicht einmal die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite hätten bis heute die vollständigen Unterlagen bekommen. Transnet überlegt derzeit, das gerichtlich zu erzwingen. Hansen warnte Mehdorn ausdrücklich, weiter nach der »Wild-West-Methode« vorzugehen: "Entweder ihr akzeptiert es oder ich mache es trotzdem".
Bei den Druckmitteln, die die Gewerkschaft in der Hand hat, schloss Hansen den in Deutschland nicht erlaubten politischen Streik natürlich aus. Die Stimmung unter den Kollegen sei aber so schlecht, dass es genügend »spontane« Aktionen geben werde, in die die Gewerkschaft dann »ordnend« eingreifen müsse. Auch gebe es einen großen Solidarisierungseffekt unter den anderen Bahnmitarbeitern.
Wie stets vergaß Hansen gestern auch nicht, auf die enorme Mitverantwortung der Politik für das Bahn-Desaster hinzuweisen. Inzwischen kommt auch hier eine lange Forderungsliste zusammen: Endlich müsse mal über die konkrete Höhe der vorgesehenen Lkw-Maut entschieden werden, damit Bahn und Speditionen planen könnten. Endlich müsse der neue Bundesverkehrswegeplan 2003-2013 verabschiedet werden. Nach Transnet-Angaben hat die DB hierfür 29Projekte gemeldet. Das sind für Hansen »viel zu wenig«. Er vermutet hier ein gehorsames Verhalten gegenüber dem Sparkurs des Eigentümers Bund.
Andererseits kosten die DB, von der Bahn skeptisch betrachtete, politisch aber bestellte Vorhaben jede Menge Geld. Hansen bezog sich auf das jüngste Beispiel der Neubautrasse von Nürnberg nach Ingolstadt, wo man beim Tunnelbohren Tropfsteinhöhlen entdeckte und nun faktisch eine Brücke im Tunnel bauen muss. Mehrkosten gesamt: 600 Millionen Mark.



Zahlen & Fakten

Die Abbaupläne bei den DB-Werken, wie sie der Gewerkschaft vorliegen, sehen meist bis zum Jahr 2005 an den einzelnen Standorten vor:

Bremen: Von 777 Arbeitsplätzen sollen 572 abgebaut werden.
Chemnitz: Schließung 2003, Verlust von 879 Arbeitsplätzen.
Cottbus: Zu den 844 Arbeitsplätzen sollen 18 hinzu kommen.
Delitzsch: Schließung 2002, Verlust von 617 Arbeitsplätzen.
Dessau: Von 977 Arbeitsplätzen sollen 23 abgebaut werden.
Eberswalde: Von 440 Arbeitsplätzen sollen 13 abgebaut werden.
Fulda: Von 247 Arbeitsplätzen sollen 91 abgebaut werden.
Kassel: Zu den 758 Arbeitsplätzen sollen 63 hinzu kommen.
Krefeld: Von 758 Arbeitsplätzen sollen 205 abgebaut werden.
Leipzig-Engelsdorf: Schließung 2001, Verlust von 280 Arbeitsplätzen;
München-Neuaubing: Schließung 2001, Verlust von 384 Arbeitsplätzen;
Neumünster: Von 565 Arbeitsplätzen sollen 53 abgebaut werden.
Nürnberg: Schließung 2003, Verlust von 601 Arbeitsplätzen;
Opladen: Schließung 2003, Verlust von 772 Arbeitsplätzen;
Paderborn: Von 508 Arbeitsplätzen sollen 8 abgebaut werden.
Stendal: Schließung 2001, Verkaufsverhandlungen, drohender Verlust von 276 Arbeitsplätzen;
Wittenberge: Von 709 Arbeitsplätzen sollen 114 abgebaut werden.
Zwickau: Schließung 2003, Verlust von 565 Arbeitsplätzen;
Zudem soll die schwere Fahrzeuginstandhaltung in Neustrelitz (Ende 2001, -265 Arbeitsplätze), Erfurt (Ende 2001, -82), Limburg (Ende 2002, -145) sowie Hannover-Leinhausen (Ende 2002, -160) aufgelöst werden.
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