»Die Stadt hat einen Brandfleck«

Gedenken an die Opfer aus Lübecks Hafenstraße

  • Dieter Hanisch, Lübeck
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Nacht zum 18. Januar vor 16 Jahren brannte das Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße, zehn Menschen starben, 38 wurden verletzt. Die Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt. In Lübeck wird die Wiederaufnahme des damaligen Verfahrens gefordert.

Der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße vor 16 Jahren hat Wunden hinterlassen, die noch immer nicht verheilt sind. Viele Fragen sind offen: Vor allem die nach den Brandstiftern und jene nach der Zukunft des Nigerianers Victor Atoe, dem das dauerhafte Bleiberecht in Deutschland vorenthalten wird. Atoe hatte damals das Inferno im Asylbewerberheim miterlebt und gehörte zu den 38 Verletzten, zehn andere Bewohner starben. Erst in dieser Woche hat der Nigerianer erneut eine vierteljährige Verlängerung seiner Duldung erhalten.

Spur nach Grevesmühlen

»Die Stadt hat einen Brandfleck«, sagte der stellvertretende Stadtpräsident Lienhard Böhning (SPD) am Dienstagabend auf einer Diskussionsveranstaltung im Beisein mehrerer Bürgerschafts- und Landtagsabgeordneter. Anlass für den Meinungsaustausch war der Jahrestag des feigen Anschlags. Das Flüchtlingsforum, die Humanistische Union und andere Organisationen hatten auch mit Blick auf die Zwickauer Terrorzelle in den Bürgerschaftssaal des Rathauses eingeladen.

Das ausgebrannte Haus ist längst weggerissen. Eine große Parkfläche ist dort entstanden. Ein Gedenkstein auf einer eingezäunten Minifläche, wo gestern eine Kranzniederlegung stattfand, erinnert an die Tragödie. »Der Zustand und die Umgebung des mahnenden Ortes sind beschämend«, stellte der frühere Lübecker Landgerichtspräsident Hans-Ernst Böttcher fest.

Gabriele Heinecke, die damalige Anwältin von Safwan Eid, der beschuldigt wurde, als einer der Bewohner das Feuer gelegt zu haben, kann und will die Geschehnisse trotz zweier Freisprüche für ihren damaligen Mandanten nicht vergessen. Sie konstatiert, dass die Lübecker Staatsanwaltschaft bis zum heutigen Tage eine regelrechte »Feindschaft« zur durchaus nahe liegenden These eines fremdenfeindlichen Anschlages zeige. In keiner Weise sei einer Spur nachgegangen worden, die auf vier neonazistische Verdächtige in Tatortnähe hinwiesen. Selbst Geständnisse der jungen Männer aus Grevesmühlen wurden nicht ernst genommen. Es wurde sogar unterstellt, diese seien ihnen mit einem journalistischen Auskunftshonorar entlockt worden. Die Anwältin forderte - wie nahezu alle Zuhörer - die Wiederaufnahme des Verfahrens.

»Mord verjährt nicht. Das sind wir den Opfern einfach schuldig«, sagte auch der frühere Bürgermeister der Hansestadt, Michael Bouteiller. Heinecke will keine Ruhe geben, auch wenn sie ein Klageerzwingungsverfahren in dieser Angelegenheit bereits verloren hat. »Ich habe die Akten noch alle aufgehoben.«

Am Ende der Veranstaltung war man sich einig, dass Schleswig-Holsteins Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) aufgefordert werden soll, für eine Verfahrenswiederaufnahme zu sorgen, was die Lübecker Staatsanwaltschaft ablehnt. Allein der Streit um den Brandherd würde das rechtfertigen, argumentierte Heinecke. Dort, wo laut Staatsanwaltschaft das Feuer ausgebrochen sein soll und eine entsprechende Brandsäule hätte hinterlassen müssen, hatte die Hamburger Strafverteidigerin damals bei einer ersten Begehung der Brandruine sogar noch völlig unverkohltes Toilettenpapier entdeckt.

Steine auf Synagoge

Bouteiller sprach noch einmal die Attacken auf die jüdische Synagoge in Lübeck an. Nur in einem Fall wurden die jungen neonazistischen Täter geschnappt und auch verurteilt. Als sollte sich der Kreis schließen, gibt es derzeit Streit um Steine, die in der Silvesternacht auf die Synagoge der Stadt geworfen wurden - und um die vorschnelle Aussage der Ermittler, dass die gefassten mutmaßlichen Täter keine rechtsgerichteten Motive gehabt hätten.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: der jährliche Neonazi-Aufmarsch in der Stadt. Das Verwaltungsduo von Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) und Innensenator Bernd Möller (Grüne) sieht keine rechtliche Handhabe für ein Verbot.

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