Lob des Verrats

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Verräter hat gute Arbeit geleistet: Er muss erschossen werden. Der Verräter heißt Hoederer. Er ist Parteiführer und will während des Krieges mit inneren Feinden paktieren, für eine nationale Front gegen die deutschen Besatzer. Der Bürgersohn Hugo, den seine Klasse anekelt - er will prometheisch werden - soll den hohen Kommunisten deshalb erschießen und wird zu dem Behufe als dessen Sekretär »eingeschleust«. Er wird den Mord am linienuntreuen Hoederer begehen - aber letztlich nur aus privaten Gründen. Denn dieser Intellektuelle kann nicht zum Täter in einem maschinellen Programm werden, ihm gerät andauernd der abwägende Kopf zwischen Hand und Waffe. Hugo kann am Ende nur deshalb schießen, weil ihm die Eifersucht auf die eigene Frau für einen Moment des wallenden Argwohns den Kopf ausschaltet. Der Attentäter geht als Held ins Gefängnis. Nur wird die Partei bald ihre Linie ändern und auf die des getöteten Hoederer umschwenken. Hugo kommt als Unperson aus der Haft ...

Jette Steckel hat am Deutschen Theater Berlin Jean Paul Sartres Stück »Die schmutzigen Hände« inszeniert. Geschrieben 1948, zeigt es das Räderwerk einer kommunistischen Organisation, die jeden Idealismus umfunktioniert in blinden Gehorsam. Eine Folter für den Intellektuellen Hugo: Er hasst Hoederers Pragmatismus, aber er kann die Konsequenz dieses Hasses nicht leben, die der allmächtige Apparat von ihm einfordert.

Sartre zeigt Menschen in der Notwendigkeit zu ständiger Entscheidung und zu ganzer Verantwortung inmitten des Zeitalters gewaltsam herrschender Ideologien. Dieses Zeitalter verlangte und erzeugte ein energisches Denken im Kampf um eine Wahrheit, die stets auch eine weltanschauliche Wahrheit sein musste. Und deren Eindeutigkeit so sehr lockte, wie sie dann unglücklich verstrickte.

Das entzündet kaum noch Leidenschaften. Eine Zeit »danach« ist immer eine Epoche, die zwischen Tyrannei und Anarchie gleichermaßen entfernt ist und die in der Mitte aller Verhältnisse ihr weites Feld der kleinen, beruhigenden Entwürfe ausbreitet.

Es gibt den Geist des Aufruhrs doch? In welchen Strukturen? Mit welchen Graden innerer Hitze? Mit welch triebkräftiger Verzweiflung? Regisseurin Jeckel ist nicht mal dreißig, sie hat quasi eines jener uralten Stücke inszeniert, die für ihre Generation immergrün nur genannt werden dürfen wegen der Patinaschicht. Für Steckel ist Hugos Frau Jessica die Botschafterin dieser Distanz und einer Suche nach sinnvoller, ja: Denunziation?

Katharina Marie Schubert spielt diese Jessica auf keck komische Art, als hätte sich Shakespeares Puck in Sartres Parteibüro verirrt, frappant zwischen Sex appeal und Comicstrip, zwischen Schmollmund-Reizen und Mauligkeit, zwischen weich wogendem Charme und der Eckigkeit einer Pippi Langstrumpf. Sie macht todharte Machtspiele lächerlich, das geht automatisch auch gegen Sartres Dialoge - diese Jessica bestimmt, ob eine Szene hin- oder aufgerichtet wird. Und Steckel schnitzt auch jene Reaktionäre, die mit Hoederer über eine Koalition debattieren (Bernd Moss, Moritz Grove), zu Witz-Wichten nieder. Maren Eggert ist jene Genossin, die Verbindung zu Hugo hält: leidend stille, verhärmte Schöne - Trauerbild des Menschen, der funktional aufzugehen hat in der »Sache«. Ein Seelenverlust.

Hoederer leidet an Hugos realitätsferner moralischer Reinheit, Hugo leidet an Hoederers schmutzigem Realismus - Sartre leidet an beidem. »Nicht verwendungsfähig«, mit diesen zwei Worten schießt sich Attentäter Hugo später selber aus der Welt, quasi hin zu Hoederer. Nur der Tod löst das Problem zwischen Richtig und Richtig, Falsch und Falsch, zwischen der Soziallüge der Ausbeuter, die aus der Welt geschaffen werden soll, und jenen Parteilichkeitslügen, ohne die eine neue soziale Welt nicht zu erschaffen ist.

Auf Florian Lösches Bühne, einleuchtende Idee, drehen sich Wandsegmente gegeneinander wie Zahnräder einer Maschinerie - das Stück ist Porträt einer Maschinerie. Hugo springt geschmeidig wie ein Panther von Raum zu Raum, jede Wandlücke eine mögliche Falle - das Stück ist ein Porträt der Fallen und eines Falles.

Steckel, halb fremd im Stück, halb angezogen von ihm, halb fragend, halb antwortsuchend, halb umwerfend, halb wegwerfend, ein Viertel pathetisch, drei Viertel pampig, plötzlich unbekümmert plakativ: Die Wände klappen sich auf wie Buchseiten, und in Großbuchstaben prangen Ismen. Narzismus, Nationalismus, Egoismus, Islamismus, Marxismus, Stalinismus, Faschismus, Kapitalismus. Am Schluss steht da, gleichsam stand-haft, was doch am wenigstens standhält im Klassenkampf: Humanismus. Der elende Idealismus der Parteilichkeit: Auf zum Sturm der Götzenbilder - um dann vor ihren Scherben um so devoter niederknien zu sollen.

Steckel: halb fremd im Stück? Ja, aber nur halb. Die andere Hälfte, das ist, neben Katharina Marie Schubert, das Duo der männlichen Protagonisten. Ole Lagenpusch spielt den Hugo. Zunächst tückenreich verkeilt in lauter Anläufe zur Figur. So kunstlos dieser rothosige Bursche, so schwimmend im Naturalismus eines fortwährend Brüllers, so nervös schwitzend, so panisch auf der Suche nach einem Zentrum als Kerl. Was wird der, was wird das überhaupt? Dann aber zeigt sich das als Methode einer tollen Anverwandlung ins Quälende einer verunsicherten Existenz. In Eisen und Eis des politischen Rigorismus wird er erst ruhig, da die Kugel des Freitodes in ihn hineinrast. Lagenpuschs Gesicht zuckt, wie ein Herz auf einem Handteller zucken würde. Flieht Steckel mit Katharina Marie Schubert aus dem Stück, so kehrt sie mit Lagenpusch zu ihm zurück. Bis ins Zentrum sogar.

Dort wartet Ulrich Matthes!

Der spielt Hoederer, als wolle Yves Montand Gorbatschow werden. Französischer Flaneur im Blut der Kämpfe. Klassischer Reformer mit der fast zynischen Gelassenheit des Wissenden: Ein Politiker erlebt so viele Widersprüche gleichzeitig, dass er bald nicht mehr unterscheiden kann, an welchen er sich festhalten, welche er auflösen soll. Matthes lächelt, schlendert, er melancholisiert sich durch die eine ewige Frage: Welchen Beistand kann die Religion Kommunismus einem Gläubigen noch geben, der von den ehernen Göttern und den listig-hilfreichen Teufeln dieser Weltsicht gleichermaßen enttäuscht ist?

Großartig, feurig, ekstatisch Matthes und Lagenpusch in ihrer zentralen Auseinandersetzung, da sitzt die Regie still in einer Ecke und hört nur zu und weiß, dass man das Stück jetzt nicht stören darf. Bei dessen Hauptarbeit: Es macht noch immer Angst.

Nächste Vorstellung: heute, 4.2.

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