Schein und Schrecken
Ron Galella und Gundula Schulze Eldowy in der Galerie C/O Berlin
Zwei Welten begegnen sich momentan in der Galerie C/O Berlin. Während im Erdgeschoss des charmant bröckeligen Postfuhramtes die Schnappschüsse des Ur-Paparazzo Ron Galella vergangenen Glamour beschwören, führen einen Stock höher die Bilder der großen Alltagsfotografin Gundula Schulze Eldowy mitten hinein in die ganz normalen Schrecknisse menschlichen Daseins.
Die Warnung für zart Besaitete vor einer eventuellen nervlichen Erschütterung, die am Eingang der Schulze Eldowy-Retrospektive prangt, hat seine Berechtigung. Vor allem der erstmals in Berlin gezeigte Farbzyklus »Der große und der kleine Schritt« taucht ein in eine nur schwer erträgliche, tabulose, drastisch fotografierte Welt des Leids, des Todes, der Krankheit - aber auch des Lebens, der Geburt. Nach eigener Aussage wollte Schulze Eldowy in dieser Reihe das »existenzielle Erleben« vorführen, den Schmerz, durch den man sich selber erkennt. Es sind Bilder direkt nach einem Kaiserschnitt, von bedauernswerten, mit Krankenhaus-Apparaten malträtierten Kindern, von ausgemergelten oft nackten Patienten. So schamlos die Bilder zunächst erscheinen, so tief und nachhaltig wirken sie auf den Betrachter.
Schulze Eldowy - 1954 in Erfurt geboren, seit 1988 weltweit ausgestellt - hat vor allem Berlin als ihr Terrain auserkoren. So dokumentierte sie seit den 70er Jahren das Scheunenviertel und damit Großstadt-Tristesse, Elend aber auch kurze Glücksmomente im Hinterhof. In ihren Bildern, etwa der Reihe »Berlin in einer Hundenacht«, versammeln sich all jene Glücksritter, Pechvögel, Arbeiter, Träumer und Verlierer, die eine Metropole ausmachen. Doch auch das Theater hat sie fasziniert, die Werke mit Militärumzügen und Machtmenschen sprechen in ihrer Distanz für sich, Leipzig hat sie 1989 als verfallene Ruinenstadt wahrgenommen.
Die Motive drängten sich Schulze Eldowy oft aus dem persönlichen Umfeld auf. Was sie auch immer in ihrem totalen Realismus abbildete: Sie tat es in großartigen Kompositionen. Die Schau bei C/O Berlin, die zwischen 1977 und 1990 entstandene Arbeiten präsentiert, wird ergänzt durch eine Ausstellung im Kunst-Raum des deutschen Bundestages, die sich auf das Schaffen nach 1990 konzentriert.
Während also die Kunst Schulze Eldowys direkt aus dem Leid, der Gosse, der Nachbarschaft entspringt und dadurch zeitlos und aktuell wirkt, ist der in der Schau »Paparazzo Extraordinaire« vorgestellte Ron Galella gleich in mehrfacher Hinsicht eine Erscheinung vergangener Zeiten. Zum einen hatte der heute über 80-Jährige seine Schaffensphase vor allem zwischen den 60er und 80er Jahren. Zum anderen ist in Zeiten von Handyfotografie und »Bild«-Leser-Reportern praktisch jedermann ein potenzieller Paparazzo. Da man mit den meisten Schnappschüssen also kein Geld mehr verdienen kann, ist auch die von Ron Galella angeführte Spezies der hauptberuflichen Paparazzi dem Untergang geweiht. So bilden die im Vergleich zu heutigen Schnappschüssen der »Schönen und Reichen« relativ vorteilhaften Bilder von Mick Jagger, Marlon Brando, Jacky Onassis, Salvador Dali, Alfred Hitchcock oder John Lennon einen Raum gemütlicher Nostalgie.
Und es ist genau das, was den Reiz der fotografisch nicht gerade spektakulären Promifotos Galellas ausmacht: Dieses Echo einer verflossenen Zeit, das sich hier nicht nur auf den (damals scheinbar unschuldigen) Glamour der Abgelichteten bezieht, sondern auch auf den Fotografen, der als eine Art letzter Mohikaner inszeniert wird.
Deutlich wird in der Ausstellung auch das ambivalente Verhältnis zwischen Star und Paparazzo, das beileibe nicht nur das von Opfer und Jäger ist. Vielmehr gibt es, von extremen Auswüchsen abgesehen, meist einen stillschweigenden Vertrag zwischen den Parteien: Eine Hand wäscht die andere.
Beide Ausstellungen bis 26. Februar, Galerie C/O Berlin, Oranienburger Straße 35/36, Infos unter www.co-berlin.com
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