Meucheln gegen die Moral

Das KW Institute fokussiert die verstörende Welt des »Transgression Cinema«

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Oralsex mit Toten, schmerzhafte Manipulation an Geschlechtsorganen, abgetrennte Gliedmaßen in Nahaufnahme - dass die Ausstellung »You killed me first - The Cinema of Transgression« in den Kunst-Werken nicht jugendfrei ist, versteht sich von selbst. Doch auch sensible Erwachsene sollten um die Galerie in der Auguststraße besser einen Bogen machen. Jenen jedoch, die härter im Nehmen sind, sei dieses Panoptikum des billigen Kurzfilm-Terrors, das gleich drei Etagen der Kunst-Werke in blutigen und verwackelten Beschlag nimmt, ans Herz gelegt. So schwer erträglich diese Zeitreise in sexualisierte, drogengeschwängerte und von Stroboskopen durchzuckten Untergründe auch sein mag: Für den offenen Besucher, der sich durch diese stockdunkle Ausstellungswelt tasten muss, kann es eine intensive Erfahrung sein.

Entstanden ist die abgründige Filmkultur der »Transgression« während der Reagan-Ära Anfang der 80er Jahre in New York. Sie war Frontalangriff und Reaktion auf die neue moralinsaure Sittsamkeit jener Zeit, in der gesellschaftliche Keuschheit gepredigt wurde, während »unveräußerliche« Rechte verscherbelt wurden und der Raubtierkapitalismus vollends von der Leine gelassen wurde. »Wir sind der Meinung, dass ein Film, der nicht schockt, es nicht wert ist, angesehen zu werden. Wir wollen jede Grenze überwinden, die durch Geschmack, Moral oder andere traditionelle Werte errichtet wurde«, formulierte Regisseur Nick Zedd im Manifest jener wilden Truppe.

Das Erdgeschoss ist als dunkle, riesige und leere Halle dem Regisseur Richard Kern gewidmet, einem Vorreiter und Protagonisten der radikalen Kunstform. In »Manhattan Love Suicides: Thrust in me« von 1985 etwa begleitet man in wackeligen Schwarz-Weiß-Bildern die Odyssee eines jungen Mannes in den Straßen New Yorks einerseits und den Selbstmord einer Prostituierten andererseits. Das Ende jenes ästhetisch zum Teil durchaus hippen Trash-Werks ist aber leider zu explizit, um hier beschrieben zu werden. Im titelgebenden »You killed me first«, ebenfalls Richard Kern, richtet eine Teenagerin ihre in ihrer Spießigkeit grausame Familie hin.

Der Aufbau ist wichtiger Teil der Ausstellung. Wie hier das ganze Haus in eine kalte, kahle von New-Wave-Lärm zerschnittene Großstadtwüste verwandelt wurde, wie die Fenster extra lieblos mit schwarzer Farbe zugeklatscht wurden, der Besucher teils die Hand nicht vor Augen sieht oder die wenigen Sitzgelegenheiten eben nicht arrangiert wurden - das hat eine Konsequenz, die beeindruckt. Auch wenn man froh ist, wieder heil zu entrinnen.

Bis 9.4., Kunst-Werke, ab 18 Jahre

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