Es hätte so schön sein können!

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Es hätte so schön sein können!

Vorige Woche begegnete mir der Untermensch! Es war in Bayern, wo ich hinlänglich lustige Texte vor aufgeräumtem Publikum verlas. Hernach scherzten wir einander noch ein wenig an, während ich beiläufig Bücher losschlug.

Ein gebeugtes Paar trat heran und berichtete stolz, »noch vor dem Russenabitur aus der Zone geflüchtet« zu sein. Eine Dame schloss sich überschwänglich an - sie habe im August 1989 »unter größten Gefahren diesem Regime dem Rücken gekehrt«. Schließlich wanzte sich ein fideler Alter in die kleine Runde: Dieser Putin, sagte er lachend, das sei es doch - »die Fratze des Untermenschen«.

Wir lachten herzlich. Ich tat so, als hätte er einen Witz versucht, und verpflichtete mich innerhalb von Sekundenbruchteilen zu glauben, der Alte sei ein wacher Demokrat und habe mit seiner Bemerkung die hetzerische Berichterstattung der Leitmedien über die Russland-Wahlen persifliert. Denn man schlägt keinen Leser. Doch dann wandte sich die Dame, die '89 geflohen war, bewundernd an den Alten: »Das traut sich nicht jeder, das zu sagen!«

Nein, das sagt nicht jeder. Aber jetzt vielleicht immer mehr. Zwar ist die Februarrevolution in Russland trotz aller Anfeuerungen aus den USA und Deutschland und der leidenschaftlichen Anteilnahme ihrer Geheimdienste mit zuletzt gerade mal 2000 Demonstranten in Moskau krepiert. Aber Tage zuvor hatte es nach Sieg ausgehen. Denn da hatte die gesamte freie Welt in Wladimir Putin - der sich von den Russen zärtlich Wolodja nennen lässt, der Kosename des finsteren Lenin - als abgefeimten Widerling und zynischen Verächter seines Volkes erkannt. Das Wort »Diktator« wurde zwar vermieden - es ist für den Weißrussen Lukaschenko reserviert, in dessen Herrschaftsgebiet beinahe jährlich eine Revolution versucht wird -, aber ein »Autokrat« ist Putin wenigstens. Wenn ich nicht irre, hat er Stalins Gulag-System wiedererrichtet. Das zumindest legen zahlreiche Fernsehreportagen aus russischen Gefängnissen nahe. Er erschießt eigenhändig Journalisten, Sender und Zeitungen und bringt Milliardäre ohne ersichtlichen Grund mit Hilfe Roland Freislers & Hilde Benjamins lebenslang hinter Gitter. Er ist ein Stasimann reinsten Wassers, der noch vor gut 20 Jahren Dresden samt angeschlossenen Dörfern in Angst und Schrecken hielt. Er trainiert seinen Körper, um weiter Böses tun zu können und, wie einst Hitler, Frauen zu verwirren. Im Prinzip ist alles klar - und es hätte so schön sein können!

Es klappt zwar nicht immer, aber Farb-, Blumen- und Jahreszeitenrevolutionen (Rosen in Georgien, Orange in der Ukraine, Zedern im Libanon, Tulpen in Kirgistan, Frühling im arabischen Raum) sind der erfolgreichste Exportartikel der USA. Der Prototyp war im Jahr 2000 der Sturz Milosevics - noch ohne Blumennamen, aber ein voller Erfolg. Seitdem reisen die Fachingenieure zur Revolutionsauslösung um die Welt.

Vor Wahlen werden Wahlfälschungen vorausgesagt. Wie fein das die Leute auf die Palme bringt, haben die Geheimdienste wohl erstmals an den gefälschten Kommunalwahlen 1989 in der DDR studiert. Dann werden Kameras aufgestellt und ein Mädchentrio protestiert »oben ohne«. Eine »junge, moderne, gebildete, ehrgeizige Mittelschicht« wird erfunden, die vor allem twittern und E-Mails verschicken kann. Ihre Helden sprechen Englisch, haben im Westen studiert und sind fit in Marketing. Nach dem Sieg werden sie Präsidenten, Bürgermeister oder Intendanten.

In Russland standen gefälschte Wahlen mit anschließender Flucht Putins nach Nordkorea bevor. Kurz nach Schließung der Wahllokale waren es noch »tausende massive Manipulationen«. Später sprach man von »Mauscheleien« (das Jiddische setzt nicht nur Juden, auch andere Untermenschen herab). Zum Schluss gab es hier und da »Unregelmäßigkeiten«.

Der Untermensch Wolodja wird meinem lustigen bayerischen Leser eine Weile erhalten bleiben.

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