Einkaufstaschen aus Mais, Zucker und Getreide

Die Firma Victorgroup aus Neuruppin stellt Produkte her, die biologisch abbaubar sind

  • Gudrun Janicke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Vom Äußeren her fällt dem Laien kein Unterschied auf. Beide Supermarkt-Tragetaschen sehen identisch aus, gleiche Tragegriffe, ähnliches Werbelogo - doch die eine ist aus konventionellem Kunststoff, die andere aus Biokunststoff auf der Basis von Maisstärke und zu 100 Prozent kompostierbar.

Im Neuruppiner Werk der Victorgroup (Frechen/Nordrhein-Westfalen) werden seit drei Jahren neben herkömmlichen auch Tragetaschen aus Biokunststoffen hergestellt. Jens Boggel, Vertriebsleiter der Victorgroup erläutert: »Das Produkt findet immer mehr Akzeptanz beim Kunden. Auch bei denen, die traditionell nicht zur Biofraktion gehören.«

Derzeit werden nach Angaben der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe im Jahr in Deutschland fast 40 Prozent der 14 Millionen Tonnen Verpackungen aus Kunststoff aus fossilen Energieträgern wie Erdöl hergestellt. Rund 1,8 Millionen Tonnen entfallen auf kurzlebige Kunststoffverpackungen wie Folien oder Tragetaschen. Die EU plant unterdessen ein Verbot von Plastiktüten. Biokunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Zucker oder Getreide haben da ein großes Potenzial: Für Partygeschirr, Folien, aber auch für die Fertigung von Konsolen im Auto können sie genutzt werden.

Das Neuruppiner Unternehmen ist im vergangenen Jahr für seine Idee einer Tragetasche aus Bio-Polymeren mit dem Zukunftspreis des Landes Brandenburg geehrt worden. »Bislang wurden bereits mehrere Millionen Bio-Tragetaschen aus nachwachsenden Rohstoffen verkauft«, sagt Boggel. Kunden großer Einzelhandelsketten (Aldi, Rewe) können an der Kasse wählen: Bio- oder konventioneller Beutel. Sie sind etwa zwei- bis viermal teurer als herkömmliche Tüten.

Boggel erläutert, dass mit dem Chemieunternehmen BASF das Produkt auf der Basis eines biobasierten Kunststoffes entwickelt wurde. In diesem Fall Maisstärke aus Industriemais. Der Anteil von Erdöl zur Fertigung konnte bereits zur Hälfte durch pflanzliche Stärke ersetzt werden. Forscher arbeiten daran, den Bio-Anteil weiter zu erhöhen. Im nächsten Jahr solle er bereits bei zwei Drittel liegen. Nach Angaben von Boggel investierte das inhabergeführte mittelständische Unternehmen rund zwei Millionen Euro in das Projekt »Bio-Beutel«.

Wichtigster Unterschied im Vergleich zu den traditionellen Beuteln: sie sind biologisch abbaubar und kompostierbar. Bei industrieller Kompostierung sind nach 80 Tagen mehr als 90 Prozent biologisch abgebaut. Nach sechs Monaten sind auch kleinste Partikel wertvoller Kompost.

Für den Interessenverband der Europäischen Biokunststoffindustrie European Bioplastics (Berlin) ist das Potenzial noch lange nicht ausgereizt. Nach Angaben von Sprecherin Kristy-Barbara Lange gehört Victorgroup zu der Handvoll Unternehmen in Deutschland, die derartige Tragetaschen herstellen. »Als Verband sprechen wir uns für die Reduzierung von übermäßigem Verbrauch bei Einweg-Plastiktüten aus, dort wo der Verbrauch nicht reduziert werden kann, müssen wir auf Nachhaltigkeit setzen«, sagt sie.

Der Branchenexperte Daniel Stricker (kunststoff web) dämpft allzu große Hoffnungen: Biokunststoffe bleiben ein Nischenprodukt. Für den Gesamtmarkt haben sie eine geringe Bedeutung.

Im Neuruppiner Werk läuft die Produktion beider Tragetaschen auf den gleichen Maschinen. Im Monat sind es rund fünf Millionen Stück, davon 60 Prozent Bio. Das Granulat wird über ein kompliziertes System von Spritzdüsen und durch Wärme wie ein große Kaugummiblase aufgepumpt, abgekühlt und dann zu einer Fläche gezogen. Dann kommen die Plastikbahnen auf riesige Rollen, die bedruckt werden. Maschinell werden die Tüten gefaltet und farbige Griffe angeschweißt.

Qualitätsassistentin Laura Wolter ist für Gütekontrolle zuständig: alle Stunde wird aus der laufenden Produktion ein Exemplar entnommen. Getestet wird unter anderem die Reißfestigkeit. Die etwa 32 Gramm schwere Bio-Tüte muss ohne Probleme 13 bis 14 Kilogramm Gewicht aushalten. Wolter ist zufrieden: »Der Henkel reißt nicht.«

Die Victorgroup liefert mehr als 1200 Produkte: Aluminiumfolien, Servietten, Dekoartikel und Tragetaschen - vor allem als Kunden-Eigenmarken. Deutschlandweit werden etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt, davon 75 im Neuruppiner Werk. Der Umsatz liegt nach Firmenangaben bei mehr als 100 Millionen Euro. Beliefert werden Supermarktketten in ganz Europa. »Tendenz steigend«, sagt Boggel. Im Visier der Neuruppiner sind jetzt Bio-Supermärkte.

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