Die lernende Fraktion

Hamburger LINKE debattiert im Rathaus über die größten gesellschaftlichen Problemfelder der Stadt

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Samstag diskutierte die Bürgerschaftsfraktion der Hamburger LINKEN auf einer Konferenz, wie die tiefen sozialen Gräben in der Hansestadt überwunden werden können.

Die Verwüstung, die der Neoliberalismus bis hinein in den letzten Winkel der Städte anrichtet, ist enorm. Die Bürgerschaftsfraktion der Hamburger LINKEN lud am Samstag zur Besichtigung von fünf sozialen, (grund)rechtlichen und friedenspolitischen Baustellen der Hansestadt ein.

»Wir sind nicht nur eine lernende Partei, sondern auch eine lernende Fraktion«, begrüßte die Chefin letzterer, Dora Heyenn, die knapp 150 Teilnehmer der »Stadtpolitischen Konferenz« im Hamburger Rathaus. Und sie bat um Ratschläge für die Beseitigung der tiefen sozialen Klüfte in der deutschen Hauptstadt der Millionäre, in der jedes vierte Kind in Armut lebt.

Hauptstadt der Millionäre

In dem historischen Gebäude, in dem seit vielen Jahrhunderten die politische Klasse vorwiegend die Interessen der »Pfeffersäcke« - Hamburgs Wirtschaftseliten -, vertritt, herrschte Ausnahmezustand. In seinen holzvertäfelten Räumen und prunkvollen Sälen diskutierten Menschen aus allen Teilen der Stadt über soziale Kälte und Obdachlosigkeit.

Die Leitbilder der bisher angewendeten stadtpolitischen Konzepte hätten vor allem forciert, Hamburg für »Besserverdienende« und »qualifizierte Zuwanderer« attraktiv zu machen. Die vorhandenen Arbeitskräfte seien kaum gefördert, die lokale Ökonomie vernachlässigt worden, stellte Sozialökonom Rainer Volkmann fest.

»Zurzeit findet die größte Mietervertreibung in der Geschichte statt«, lautete die deprimierende Bestandsaufnahme einer Arbeitsgruppe, die sich der Privatisierung des Wohnungsmarktes und der Mietpreisexplosion - der aktuelle Anstieg liegt im Durchschnitt bei 5,8 Prozent - in Hamburg widmete. Der Mietraum für Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt chancenlos seien, schrumpfe dramatisch, berichtete die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN-Fraktion Heike Sudmann. Um das Problem in den Griff zu bekommen, müsste der Anteil der Sozialwohnungen in den Neubauplanungen bei 50 Prozent liegen. Davon sei der SPD-Senat nicht nur »weit entfernt« - mit einem Anteil von 30 Prozent Eigentumswohnungen treibe er die Mietpreise weiter in die Höhe.

Starke Erosionen auch in der Bildungspolitik: Die Tatsache, dass Schulen wie privatwirtschaftliche Unternehmen geführt, fest angestellte Lehrer durch Honorarkräfte ersetzt werden, führe unweigerlich zu einem Qualitätsverlust des Lehrbetriebs, kritisierte Klaus Bullan, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hamburg. Das Scheitern der Einführung der sechsjährigen Primarschule an dem massiven Widerstand aus der Ober- und Mittelschicht fördere die soziale Spaltung in der Stadt und sei ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Prozess, den der Soziologe Wilhelm Heitmeyer als »Klassenkampf von oben« beschrieben hat, in vollem Gange sei.

Eine seiner wesentlichen Begleiterscheinungen ist die Einschränkung von Grundrechten. Dem SPD-Senat reicht es nicht aus, dass Hamburg seit 2005 das schärfste Polizeigesetz Deutschlands hat. Er will die Befugnisse der Polizei noch erweitern. Ob langfristige Observationen oder Online-Durchsuchungen mit Staatstrojanern - Bürgerrechtsorganisationen, wie »Mehr Demokratie«, lehnen diese Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte ab. Die LINKE setzt einen eigenen Gesetzesentwurf dagegen, der als eine Kernforderung die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Beamten vorsieht: »Die Polizei hat ein von den Bürgern verliehenes Gewaltmonopol, dann müssen die Personen, die es ausüben, auch identifizierbar sein«, begründete Fraktionsmitarbeiter Bela Rogalla die Initiative.

Hauptstadt der Rüstung

Wie kann in Hamburg, einer der größten Waffenschmieden der Republik, eine zeitgemäße Erziehung zum Frieden und Antimilitarismus geleistet werden? Das war eine der heiß diskutierten Fragen. Soll mehr auf Facebook und andere kulturindustrielle, auf Affekte zielende Kommunikationsmittel oder auf Aufklärung über die hinter den Kriegen stehenden partikularen Kapitalinteressen gesetzt werden? Um glaubwürdig zu sein, bedürfe es vor allem eines klaren Neins zu allen Militäreinsätzen, forderte Sönke Wandschneider vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung einen konsequenten Kurs. »Es gibt keinen Krieg aus humanitären Gründen.«

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