Boschs »verstoßene Kinder« in Sebnitz

Belegschaft mobilisiert gegen die für Ende 2026 geplante Schließung des Werkes in Sachsen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor zwei Jahren bohrte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretsch­mer mit einem Sebnitzer Bohrhammer noch große Löcher – nun soll das Werk geschlossen werden.
Vor zwei Jahren bohrte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretsch­mer mit einem Sebnitzer Bohrhammer noch große Löcher – nun soll das Werk geschlossen werden.

Die Sätze müssen den Beschäftigten von Bosch Power Tools in Sebnitz wie Hohn in den Ohren klingen. »Unsere Mitarbeitenden liegen uns am Herzen«, schreibt der Konzern in einem Kurzporträt über das Werk in Ostsachsen; man sehe sich in Verantwortung, sie »vor Schaden zu bewahren«. Tatsächlich fügt das Unternehmen der Belegschaft gerade den größtmöglichen Schaden zu, hat es doch angekündigt, die Niederlassung zu Ende 2026 zu schließen.

Das Sebnitzer Werk, das zur Werkzeugsparte des Konzerns gehört und in dem Winkelschleifer und Bohrhämmer für Profis wie Heimwerker hergestellt werden, gehört zu den kleineren der rund 100 Bosch-Standorte in Deutschland. Auf der Homepage wird eine Mitarbeiterzahl von 450 genannt, die freilich längst nicht mehr aktuell ist. Aktuell arbeiten noch 280 Menschen in dem Werk. Das sind weniger als 1,5 Prozent der 18 700 Mitarbeiter, die weltweit im Bereich Power Tools tätig sind.

Die Sparte feiert demnächst 100-jähriges Jubiläum. Im Jahr 1928 suchte Bosch, bis dahin Zulieferer für die Automobilindustrie, angesichts einer Krise der Branche nach alternativen Tätigkeitsfeldern und entwickelte eine elektrische Haarschneidemaschine. Daraus entstanden später Bohrmaschinen und weitere in der Hand zu haltende Elektrowerkzeuge.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

In Sebnitz, wo immerhin seit 80 Jahren Elektrowerkzeuge gefertigt werden, wurde vor zwei Jahren im Beisein von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch ein Meilenstein gefeiert: die Produktion von 75 Millionen Elektrowerkzeugen. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber bereits ein schleichender Niedergang eingesetzt. Stückzahlen waren rückläufig, Stellen wurden abgebaut, die Ausbildung von Lehrlingen wurde reduziert und schließlich dieses Jahr komplett eingestellt. Anfang April wurde nun bekannt, dass der Standort gänzlich geschlossen werden soll – wie auch der ungleich größere Stammsitz der Power-Tools-Sparte in Leinefelde-Echterdingen (Baden-Württemberg), wo nach Unternehmensangaben 1800 Menschen arbeiten.

Im Süden der Republik ist Bosch freilich einer von vielen industriellen Arbeitgebern. In Sebnitz, das in der hinteren Sächsischen Schweiz unmittelbar an der Grenze zu Tschechien liegt, ist er der einzige. Die IG Metall spricht von einem »Leuchtturm als tarifgebundener Betrieb«. Ronald Kretschmar, der Oberbürgermeister der gut 16 000 Einwohner zählenden Stadt ist und von den Schließungsplänen aus der Zeitung erfuhr, fürchtet Abwanderung und ein weiteres »Ausbluten« der strukturschwachen Region, die weitgehend vom Tourismus lebt: »Das ist für die gesamte Region ein gewaltiger Kinnhaken.« Das Vorgehen des Unternehmens hält er für enttäuschend. »Im Gegensatz zu Kleinunternehmen erwarte ich grundsätzlich von einem wirtschaftlich starken Konzern, dass Konzepte vorliegen, um eine Rezessionsphase zu überstehen«, erklärte er. »Das Handtuch zu werfen, kann nicht die Lösung sein.«

Bosch begründet den geplanten Rückzug mit schlechten Zahlen. Der Standort stehe »seit Längerem unter hohem Preis- und Wettbewerbsdruck«, erklärte ein Sprecher. Der Geschäftsbereich Industrie und Handwerk, in dem die Werkzeugsparte ein kleiner Teil ist, verbuchte im vorigen Jahr einen Umsatzrückgang von 13 Prozent. Das geht aus dem Anfang Mai vorgelegten Geschäftsbericht des Konzerns für 2024 hervor, dem freilich auch zu entnehmen ist, dass die Dividende, die im Vorjahr noch bei 170 Euro gelegen hatte, auf 186 Euro stieg.

»Das ist für die gesamte Region ein gewaltiger Kinnhaken.«

Ronald Kretzschmar Oberbürgermeister

In der Belegschaft ist man ernüchtert über das Vorgehen des Managements. Dessen Handeln stehe »nicht für die Werte, für die Bosch einmal stehen wollte«, sagte der Sebnitzer Betriebsratschef Jens Ehrlichmann; das Unternehmen sei jetzt ein »Aktienkonzern, der Rendite um jeden Preis will«. Er sei sprachlos, wie mit den Mitarbeitern umgegangen werde, die jahrelang für den Erfolg des Werkes gesorgt hätten und sich jetzt wie »verstoßene Kinder« fühlten. Uwe Garbe, der Bevollmächtigte der IG Metall in Ostsachsen, findet es »erschütternd, dass jemand einfach den Hals nicht vollbekommt«. Die Schließungspläne seien ein »Skandal, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss«.

Erste Aktionen dazu gab es. Anfang April reagierte die Belegschaft mit einer Versammlung vor dem Werkstor auf die Nachricht von der Schließung. An diesem Samstag folgte eine Kundgebung auf dem Sebnitzer Markt mit etlichen Hundert Teilnehmern, die teils aus anderen Industriebetrieben der Region kamen. Eine Online-Petition, die den Erhalt des Sebnitzer Werkes fordert, wurde bisher von 3000 Menschen unterschrieben.

Parallel verhandeln IG Metall und Betriebsrat mit dem Konzern – bisher ohne Ergebnis. Sie hatten Alternativkonzepte für den Standort vorgelegt, unter anderem zum Recycling von Werkzeugen. Auf diese Vorschläge wurde bisher nicht eingegangen. Das Unternehmen sei entschlossen, die Produktion von Werkzeugen ins Ausland zu verlagern und in Deutschland einzustellen, sagte Ehrlichmann dem MDR: »Bosch hat überhaupt keine Lust mehr.« Sollte es dabei bleiben, fordert Rathauschef Kretzschmar, einen »Plan B« umzusetzen und einen Nachfolger für das Werk zu suchen. Die Staatsregierung hat dazu bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

- Anzeige -

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.