Tugend und Tragik

Das Theater an der Parkaue verhandelt »Tugend, Ehre - Soll & Haben: Emilia. Minna. Lessing.«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur das abschließende Satyrspiel fehlt. Ansonsten greift Sascha Bunge die Abfolge antikgriechischer Theaterspektakel auf: der Tragödie folgt die Komödie. Beide liefert dem Theater an der Parkaue einer der großen, indes seltener gespielten deutschen Dramatiker, Gotthold Ephraim Lessing. Im Vorjahr gedachte man seines 220. Todestages, heuer steht Zeitgenosse Friedrich II. auf der Agenda der zu Feiernden. Der preußische König taucht zudem als die politischen Geschicke Steuernder in Lessings Komödie auf, bei Bunge gar leibhaftig als Friedensstifter.

Das riecht nach großem Spektakel, und ein solches rankt das Junge Staatstheater in der Tat um den Doppelabend. Denn zwei wichtige Produktionen hintereinander müssen den jugendlichen Adressaten schmackhaft, deren Intentionen aus der Ära der Aufklärung erst einmal verständlich gemacht werden. So wird der Hof des Hauses an der Parkaue Ort der Aufklärung auf eine unterhaltsame Weise: Unter Anleitung kann exerziert werden, und nebenbei dringen dabei, laut skandiert, Mitleid und Furcht als kathartische Mittel des Theaters ins Bewusstsein der amüsierten Zuschauer ein.

Drinnen auf der Bühne dann »Emilia Galotti«, das Trauerspiel von 1772. Verlegt in ein italienisches Niemandsland, deutsche Verhältnisse jedoch meinend und kritisierend. Die Geschichte vom lüsternen Prinzen, der ein junges Bürgermädchen begehrt, mit Hilfe seines intriganten Kammerherrn den Bräutigam töten lässt und dennoch am Ende leer ausgeht. Vater Galotti erdolcht die Tochter, damit sie nicht doch noch der Werbung des Prinzen erliege. Mord, um bescheidene Bürgerehre vor aristokratischer Ehrlosigkeit zu retten. Bunge inszeniert das im Tempo für eine Videoclip-Generation, unterlegt es fast durchgängig mit Live-Klavier, schält in Angelika Weddes Ausstattung die Schauplätze nach dem Zwiebelprinzip ins Weite.

Eng ist es in der Kirche, wo Emilia, beim Beten vom Prinzen bedrängt, vor einem Stoffhänger ganz dicht beim Publikum steht. Auf einen säulenbewehrten Platz sieht man vom Haus der Galottis aus, als Emilia der Mutter das Erlebnis schildert, der Vater düstere Ahnungen hat. Bunge lässt hier ganz das Wort sich entfalten, lenkt nicht durch Gestik vom Ernst der Situation ab. Als der Vorhang mit der gemalten Piazza fällt, weitet sich der Raum zum Prinzengemach. Dort überstürzen sich die Ereignisse: geschilderter Mord am Bräutigam, Ankunft der besorgten Mutter, dann der prinzlichen Mätresse, endlich des auf Tugend bedachten Vaters. Dass Bunge in der Tragik auch Komik zu entdecken weiß, holt die Handlung aufs Menschliche für ein Heute zurück. Und bis heute treffen Lessings meisterlich geschürzte Konflikte, die in Monologen und Dialogen geschliffen sich entladenden Rechtsauffassungen ins Schwarze.

Aufs Recht der hohen Geburt setzt Niels Heusers nervös agierender Prinz, durchaus zupackend wehrt sich Katrin Heinrichs Emilia gegen die Gefühle für den Verführer, halb geschmeichelt, halb sorgenvoll gebärdet sich Franziska Ritters Mutter. Die Fäden zieht indes ein gleichermaßen brillant auftrumpfender wie artikulierender Andrej von Sallwitz als kammerherrlicher Elegant Marinelli.

Fast die gleiche Mannschaft darf sich in »Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück« austoben, dem Lustspiel von 1763. Das prinzliche Halbrund mit den beiden Türen bleibt der Spielraum, seitlich angrenzend das Gastzimmer des Wirts. Mit »Heil Hitler«-Pose salutiert der armlädierte, ausgemusterte Major, wird später in seinem überzogenen Ehrgefühl den Tonfall des Gröfaz imitieren, ehe Minnas Trick ihn heilt. Bunge lässt seiner inszenatorischen Fantasie hier freien Lauf und serviert ein Feuer an Einfällen, die immer wieder Tellheims falschen Ehrbegriff attackieren. Seine Edeltaten im Siebenjährigen Krieg wurden schlecht entgolten, was ihn äußerlich in Armut, seelisch in Bitterkeit trieb. Die Schale verletzten Stolzes zu knacken, zieht Minna alle Register.

Lessings Text bleibt erhalten, wird gelegentlich aber etwas ergänzt und aufgefrischt. Dass so ein älterer Klassiker derart witzig, für ein junges Publikum meist nachvollziehbar sein kann, ist dem Regieteam hoch anzurechnen und übertüncht selbst den bisweilen moralisierenden Grundtenor der Aufklärung. Diese »Minna« ist zuvörderst ein Abend großer Komödianten, allen voran die an Differenzierung und blitzrasch umspringender Gefühlslage unübertroffene Minna der Franziska Ritter. Perfekt weiß Birgit Berthold als Zofe die Pointen zu setzen, gestaltet Stefan Kowalski den ehrversessenen Major, gibt Hagen Löwe den servilen, bespitzelnden Wirt, ist Andrej von Sallwitz heruntergekommener, aber rechtschaffener Diener Tellheims. Ein exzellent dosierter Abend, sehr zu empfehlen!

Emilia Galotti: 25.4. um 11 und 19 Uhr, 26.4. um 11 Uhr; Minna von Barnhelm: 26.4. um 19 Uhr; Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Lichtenberg, Kartentelefon: (030) 55 77 52 52

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