Malträtierte Körperform

Figürliche Bildhauerei wird in der Kunstgießerei Flierl in Weißensee präsentiert

  • Bernd Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Ausstellungsräumen auf dem Werkstatthof der Kunstgießerei Marcus Flierl in Weißensee ist derzeit Plastik von Absolventen der Kunsthochschule Burg Giebichenstein zu sehen (Geburtsjahrgänge 1977 bis 1983). Fünf einstige Studienkolleginnen hat der Berliner Bildhauer Sebastian Paul zur gemeinsamen Werkschau eingeladen. Solch eine Zusammenstellung ist deshalb interessant, weil sie das Weiterwirken der Bildhauerausbildung an der Halleschen Hochschule bei schon gestandenen Künstlern vergleicht. Immerhin gilt die dortige Bildhauerklasse bis heute als ein Ort konzentrierter, so auch handwerklich solider Ausbildung im Figürlichen - unterschiedliche Haltungen und produktive Reibungen eingeschlossen. Dies prägt auch ganz deutlich die in den Galerieräumen und auf der großen Hoffläche gezeigten Plastiken.

Es sind ausnahmslos Arbeiten, entstanden in den letzten Jahren, die sich mit menschlicher Figur befassen. Kleinere bis größere Formate, doch stets die Herstellung von Körperlichkeit als Ziel und Inhalt des Gestaltens. Man sieht sofort sechs deutlich verschiedene Handschriften, ganz unterschiedlichen Umgang mit Materialien und Form. Dreidimensionale Event-Beliebigkeit aber findet man nicht.

Da fällt zuerst eine lebensgroße weibliche Aktfigur aus dem vergänglichen, hier auch fest erscheinenden Material Wachs ins Auge. Katharina Günther begibt sich mit ihrem »Daphne«-Standbild in die Maske antiker Mythologie. Daphne war bekanntlich jene Jungfrau, die sich in einen Lorbeerbaum verwandeln ließ. Hier scheint der Vorgang als Moment des Verharrens im Protokoll eines Rückzugs angelegt, dabei hier auch erzählt als Umbruch, Verpuppung, Erstarrung. Man kann diese Figur natürlich auch als Sinnbild dafür deuten, dass antike Mythen, wie die Tradition plastischen Formens auch gegenwärtig wirken können.

Ganz anders zwei Köpfe aus Pappelholz von Petra Schwenzfeier. Vollplastisch und als Relief hervortretend, weiblich der eine, männlich der andere. Die Form nimmt die Weichheit des Materials mit einer Glättung der Oberflächen auf, Farbspuren weisen ins Malerische und so entsteht eine androgyne Körperlichkeit von beinahe zarter Harmonie.

Anna Kölles auf einem Tisch montierter Betonguss »Transit« verblüfft mit demonstrativ abwesender Oberkörperpartie, indem sie allein Arme, Schulter und Kopf als offenes Winkelviereck in fragile Spannung setzt, so einen Kraftfluss zwischen Kopf und Händen betont.

Bei Sebastian Paul, der als Einladender auch die Ausstellung zusammenstellte, zielt in den eigenen Arbeiten plastische Reduktion immer auf Wucht und Strenge im Umgang mit Material und Form. Er zeigt hier neben weiblichen Torsi den männlichen Torso »Gegenfeuer«, malträtierte Körperform als grob kompakten Marmorblock, und, quasi als Wiederaufnahme, einen auffallend ungeschlacht in einem aufrecht stehenden Sandstein als Halbrelief herausgehauenen Arm in archaischer Kraft.

Mitten im großen Ausstellungsraum steht eine verblüffende Kleinkindfigur in Sprungpose, gut lebensgroß, von Rebecca Lüling. Es ist eine Arbeit aus ihrer Folge »Mutter und Kind - zwischen Flug und Fall« des Diploms von 2011. Mit eigener Muttererfahrung untersuchte sie da in mehreren Aktplastiken Gleichgewicht und Bewegung in der Balance von weiblicher und Kindfigur. Zu ihren Arbeiten gehören marmorne Frauenköpfe in klassischer Harmonie und kompakte weibliche Torsi, darunter eine von Stein abgeformte Bronze, die Spuren des Behauens im anderen Material bewahrt.

Laura Eckerts auf dem Hof und in der Werkhalle postierte Standfiguren erreichen Höhen von mehr als zwei Metern. »Der Mann ohne Eigenschaften« ist aus waagerecht geschichteten Holzbohlen herausgehauen, die ihre grobe Oberflächenstruktur behielten. Auch bei der »Nacht«, überlebensgroße weibliche Kalksteinfigur, brechen Waagerechte die Bildsäule. Glatte, plan geschliffene Querschnitte trennen den rauen Stein in fünf technisch perfekt gegeneinander drehbare Körperzonen. Eine schwer lastende, strenge Bildhauerarbeit ist so als Mobile verfremdet.

Ergänzt sind die Arbeiten der Aussteller auch von Kleinplastiken und von Grafiken, die sich, wie so häufig bei Bildhauern, vor allem als zweidimensionale Formsuche zum Dreidimensionalen lesen lassen, so auch reizvolle Einblick in Arbeitsprozesse bieten.

Marco Flierls Weißenseeer Bronzegießerei hat sich seit Jahren auch mit tatkräftiger Förderung des Berliner Bildhauers Werner Stötzer (1931-2010) als markante Adresse für Bronzeguss und als Ausstellungsort für Plastik etabliert.

Bis 11.5., Galerie der Kunstgießerei Flierl, Friesickestraße 17, Mo., Mi., Fr. 10-16 Uhr, Di.+ Do. 12-18 Uhr

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