Blasses Käthchen

Ein Synergieprojekt vom Stadttheater Ansbach und dem Theaterdiscounter ließ viele Wünsche offen

  • Tom de Meller
  • Lesedauer: 3 Min.

Strukturell ist dieses Käthchen eine kleine Sensation. In den Probenräumen der Berliner Off-Bühne Theaterdiscounter wurde eine Inszenierung des Kleistschen Gemütserhitzungsdramas für das Stadttheater Ansbach erarbeitet. Die 2003 mit wenig Geld und viel Enthusiasmus ins Leben gerufene Experimentierplattform in Berlin fungierte damit gewissermaßen als großer Bruder des erst 2007 mit viel Feuilletonbeifall gegründeten Stadttheater in der fränkischen Provinz. Das ist bemerkenswert. Und jeder, der den Austausch zwischen freien Projekten und institutionalisierten Leuchttürmen befürwortet, wird lebhaft Beifall spenden.

Leider machte diese »Käthchen«-Inszenierung von Mareile Metzner aber auch auf die Kinderkrankheiten einer solchen prinzipiellen begrüßenswerten Kooperation aufmerksam. Für die große Bühne in Ansbach gedacht wirkte die nach dortiger Premiere nach Berlin zurücktransferierte Inszenierung in den Räumlichkeiten des Theaterdiscounters, in denen das Publikum auf Armlänge von der Bühne entfernt war, um mehrere Spuren zu laut, zu grell und zu grob. Das lag in erster Linie an der geschrumpften Distanz. Damit nicht erklärbar allerdings war das permanente Verlachen der Figuren durch die Schauspieler.

Jennifer Sabels Käthchen war kaum mehr als schreckhafter Blick. Die Vaterfigur schien Klaus Gramüller direkt aus tumben Schenken geholt zu haben, die so wohl nur in der Vorstellungswelt wenig mit Realitäten in Verbindung gekommener Schauspieler existiert haben mögen. Matthias Schneider legt den Grafen Wetter vom Strahl als derart hohlen Popanz an, dass Helden aus Vorabendserien dagegen dramatische Verknitterungen aufzuweisen haben. Und ob Christoph Schüchners billige Travestie-Einlage als Kunigunde im tiefen Süden irgendwelche auszulösen vermag, sollte mit Respekt vor dem dortigen Publikum hier unerörtert bleiben.

In Berlin jedenfalls hätte dies nicht einmal in der frühen Kaiserzeit Wirkung erzielt. Nein, derartig klamottig ist der Text um das Mädchen, das vom Blitzstrahl der Liebe aus seinem Leben gerissen wird, und den zwischen Zynismus, Düsternis und Glückeswahn irrlichternden Ritter wahrlich nicht, als dass man sich ihm nur schlecht-parodistisch nähern könnte. Besser auch, man ließe die Annäherung, wenn sie nur auf diesem Wege denkbar ist.

Von den im Programmheft versprochenen Interpretationslinien - Stalker-Problem, Privacy-Debatte, Realitätsflucht, Zukunftssuche - ist wenig bis nichts in diesem hölzernen Spiel zu entdecken. Das ist schade angesichts der - nicht nur produktionsästhetischen - Ambitionen, von denen Restelemente im Bühnenbild (ein zerschnittener Projektionswald von Alexandra Süßmilch) und der musikalischen Umrahmung (Tina Arnz an Tasten und Klangplättchen) noch erkennbar bleiben. Das nur in Teilen gelungene Experiment im Spannungsfeld von Institution und freier Szene sollte nun aberv nicht zum Anlass werden, auf diesen Weg zu verzichten. Vielmehr macht es darauf aufmerksam, dass Theater eben keine Rechenschieberkunst ist, bei der Elemente virtuell so lange hin und her verschoben werden können, bis sie in digitale wie papierne Konzeptionen passen, sondern eben eine an echte Räume und echte Menschen gebundene Kunstform. Es gilt dahin zurückzukehren, für jeden Raum und jedes Publikum das Beste zu wollen und dem Fetisch Synergie wieder seinen Platz auf den hinteren Rängen zuzuweisen.

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