Jungstar krempelt Japans Politik um

Der ehemalige Fernsehanwalt Toru Hashimoto soll nach den Wünschen der Bevölkerung Premierminister werden

  • Susanne Steffen, Tokio
  • Lesedauer: 3 Min.
In Japan werden zwei der 54 abgeschalteten Atomreaktoren bald wieder ans Netz gehen. Eine Niederlage für die Umweltschützer, könnte man meinen. Ihr prominentester, Toru Hashimoto, hat dem Vorhaben aber zugestimmt. An Popularität hat er dadurch nicht verloren. Im Gegenteil.

Japans atomstromfreie Zeit geht zu Ende. Jetzt ist Premierminister Yoshihiko Noda das noch vor wenigen Wochen Undenkbare gelungen. Erstmals seit der dreifachen Kernschmelze in Fukushima im März 2011 hat Noda den Widerstand der Lokalregierungen gegen das Neuanfahren der Atomreaktoren gebrochen. In einer Ansprache an die Nation erklärte er am Freitag, die ersten beiden Atomreaktoren müssten in Kürze wieder hochgefahren werden, um die Wirtschaft des Landes und das Alltagsleben der Bevölkerung zu schützen. Seit Anfang Mai sind alle 54 Reaktoren abgeschaltet.

Auf den ersten Blick klingt die beschlossene Reaktor-Renaissance wie eine herbe Niederlage für Japans politischen Shootingstar Toru Hashimoto. Der 42-jährige Bürgermeister von Osaka ist der mit Abstand prominenteste Befürworter eines Atomausstiegs. Doch vor wenigen Tagen knickte der Hoffnungsträger der seit der Fukushima-Katastrophe stetig wachsenden Zahl der Atomgegner ein. Das Wiederhochfahren sei wegen der wirtschaftlichen Notwendigkeiten unvermeidbar, hatte Hashimoto ungewohnt kleinlaut erklärt. Zuvor hatte die Stromversorgerin der Region, die Kansai Electric Power Company (Kepco) Stromsperren für den Sommer angedroht, falls die beiden Reaktoren nicht am Netz seien.

Doch Hashimoto sieht das anders. Während Premier Noda dem Volk klarzumachen versucht, dass die Atomenergie trotz der Fuku᠆shima-Katastrophe auch langfristig eine Rolle im Energiemix des Landes spielen müsse, plant Hashimoto hinter den Kulissen bereits erste konkrete Schritte in Richtung Atomausstieg. Ausgerechnet bei Kepco, deren Reaktoren die Zentralregierung nun als erste wieder hochfahren will.

Bei der für Ende des Monats angesetzten Kepco-Aktionärsversammlung will der Bürgermeister über seinen Vorschlag abstimmen lassen, schnellstmöglich alle Kepco-Atomreaktoren durch Gaskraftwerke und alternative Energieträger zu ersetzen. Sollte das Vorhaben gelingen, wäre dies ein großer Schritt - immerhin betreibt die Kepco die meisten Atomreaktoren des Landes. Zwar ist Hashimotos Osaka der größte Kepco-Aktionär, doch ob der ehemalige Fernsehanwalt insgesamt die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit bekommt, ist offen. Die Kepco-Führung kündigte am Freitag jedenfalls ihren Widerstand an.

Doch die Atompolitik ist nicht Hashimotos einzige Waffe in seinem Kampf für ein neues Japan. Der siebenfache Vater mit der direkten und furchtlosen Art zieht mit Reformideen wie der Direktwahl des Premiers und einer radikalen Dezentralisierung immer mehr Jungwähler in seinen Bann. Während Japans Führungsriege nach der Erdbebenkatastrophe in der Schockstarre verharrte, stellte Hashimoto die ersten Weichen für eine Ersatzhauptstadt in Osaka - falls Tokio bei einer künftigen Katastrophe zerstört wird.

Noch ziert sich der Mann mit Rockstarqualitäten, fürs nationale Parlament zu kandidieren. Doch angesichts der stetig wachsenden Politikerverdrossenheit wird der Ruf nach einem Premier Hashimoto immer lauter. Bei einer Umfrage der Sankei-Zeitung wählten ihn über 20 Prozent der Befragten zur mit Abstand besten Führungspersönlichkeit des Landes.

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