»Nicht nur auf Europa und die USA sehen«

Max Henninger über die Krisen in der Welt und ihren Zusammenhang

  • Lesedauer: 3 Min.
MAX HENNINGER ist Redakteur der Netzzeitschrift »Sozial.Geschichte Online«. Gemeinsam mit dem Historiker Peter Birke hat er im Verlag Assoziation A das Buch »Krisen Proteste« herausgegeben. Darüber sprach mit ihm PETER NOWAK.

nd: Der Titel Ihres Buches hat eine ungewöhnliche Schreibweise: »Krisen Proteste«. Will die Getrenntschreibung ausdrücken, dass Sie keinen Zusammenhang zwischen beidem sehen?
HENNINGER: Es gibt jedenfalls keinen mechanischen Zusammenhang. Es gibt viele Regionen, beispielsweise Ostafrika, die zwar stark von den sozialen Folgen der Krise betroffen sind, bislang aber nicht durch Proteste von sich Reden gemacht haben. Gleichzeitig stellt sich in manchen Ländern die Frage, wie sich Protestbewegungen, die bereits vor Ausbruch der Krise aktiv waren, im Zuge der Krise verändern. Das gilt zum Beispiel für die Studierendenproteste.

Ein Aufsatz widmet sich der Ernährungskrise in Afrika südlich der Sahara. Gibt es die nicht viel länger als die derzeitige Finanzkrise?
Zu oft wird nur auf Europa und die USA gesehen. Aber die Krise hat ein globales Ausmaß. Die Proteste gegen die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, zu denen es 2007 und 2008 in mehr als dreißig asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gekommen ist, waren die erste globale Antwort auf die sich aus der Krise ergebenen Spardiktate. Auf Haiti führten die Proteste im April 2008 zum Sturz der Regierung von Jacques-Édouard Alexis. Die »Food Riots« gehören aber auch zur Vorgeschichte der Aufstände in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern.

Als Beispiel für Krisenprotest in Deutschland wird im Buch die Hamburger Bewegung »Recht auf Stadt« und die Besetzung des Gängeviertels vorgestellt. Wo ist der Zusammenhang?
Aus meiner Sicht reagieren nicht nur Bewegungen, deren Parolen ausdrücklich die Krise thematisieren, auf die Krisenfolgen. Das Protestgeschehen in Deutschland ist relativ zersplittert. Anhand dieser stadtpolitischen Bewegung lässt sich zeigen, wie die Krise hierzulande in einer schleichenden Verschlechterung der Lebensverhältnisse vieler Menschen spürbar wird.

Man kann die verschiedenen Proteste in der Welt in einem Buch zusammenbringen, die realen Krisenproteste sind aber immer noch eher nationalstaatlich organisiert. Sehen Sie transnationale Bezugspunkte?
Es gibt eine transnationale Diffusion der Proteste. Die Hungerrevolten von 2007/2008 und das Übergreifen der tunesischen Revolte auf andere arabische Länder sind Beispiele dafür. Die US-amerikanische Occupy-Bewegung hat auch Impulse aus Ländern wie Ägypten und Spanien aufgenommen. Dennoch scheitern Versuche, die Übertragung von Protestbewegungen aus einem nationalen Kontext in den anderen zu organisieren, oft an der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Allein in Europa besteht ein sehr ausgeprägtes Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: In Spanien liegt die Jugenderwerbslosigkeit bei rund 40 Prozent, in Deutschland unter zehn Prozent. Diese unterschiedliche Ausgangslage erschwert gemeinsame Kämpfe.

Ein Kommentar zu den Krisenprotesten hierzulande?
Die raum-zeitliche Entkoppelung von Krisenpolitik und Krisenfolgen ist für die Linke ein zentrales Problem. Es lässt sich nicht durch bloße Appelle bewältigen.

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