Der Wildhund war's

Gericht zieht Schlussstrich im australischen »Dingo-frisst-Baby«-Fall

  • Christiane Oelrich, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein verschwundenes Baby, wilde Hunde, Kindsmord - der Fall von Baby Azaria und dem Dingo hat 1980, lange vor dem Zeitalter von Internet und permanenter Medienpräsenz, weltweit Schlagzeilen gemacht. Am Dienstag hat ein australisches Gericht einen Schlussstrich gezogen.

Pausbäckig und süß - so lernt die Welt Azaria Chamberlain 1980 auf Fotos kennen. Da ist das neun Wochen alte Baby längst verschwunden, entweder gefressen von halbwilden Hunden, Dingos, wie die Eltern beteuern, oder ermordet von ihrer Mutter, wie die Öffentlichkeit schnell glaubt. Der Fall von Baby Azaria und den Dingos im australischen Outback hat die Dramatik eines Horrorfilms, Gerüchte über Hexerei und Blutopfer machen die Runde. Der Mordprozess wird zum Medienspektakel. Mutter Lindy wird erst verurteilt, dann freigesprochen. Am Dienstag findet die Saga ihr juristisches Ende. Nach 32 Jahren urteilt eine Richterin: Ein Wildhund war verantwortlich für den Tod der kleinen Azaria.

Pastor Michael Chamberlain von der Freikirche der Adventisten des Siebenten Tages zeltet mit seiner Frau und den Kindern Aidan (6), Reagan (4) und Baby Azaria im August 1980 am Uluru, dem Steinmassiv in Zentralaustralien, das früher Ayers Rock hieß. Die Chamberlains sitzen mit anderen Urlaubern beim Lagerfeuer zusammen, dann plötzlich helle Aufregung: Das Baby ist weg, wie vom Erdboden verschwunden. »Dingos«, sagt Lindy sofort, »sie haben mein Baby verschleppt.«

Die Dingo-Theorie stößt auf Skepsis, und Lindy Chamberlain will so gar nicht in das Bild der verzweifelten Mutter passen. Sie schluchzt sich nicht in die Herzen der Fernsehzuschauer. Sie verweist auf ihren Glauben, beharrt auf ihrer Geschichte. »Ich habe beschlossen, mich auf die schönen Erinnerungen zu konzentrieren, nicht den Schmerz«, schreibt Lindy auf ihrer Website. Dann tauchen bizarre Gerüchte auf: Die Chamberlains hingen einem Kult an, der Kinderopfer verlange.

Azarias blutige Babykleidung wird gefunden, wie mit einer Schere zerschnitten und laut Anklage ohne eine Spur von Dingo-Speichel. Lindy sagt, das Baby habe eine Jacke angehabt. Man glaubt ihr nicht. Lindy wird 1982 wegen Mordes verurteilt, ihr Mann wegen Beihilfe zu einer Bewährungsstrafe. Lindy habe das Kind aus dem Zelt geholt, im Auto mit einer Schere erstochen und die Leiche verschwinden lassen, sind die Geschworenen überzeugt. Hochschwanger geht sie ins Gefängnis, Tochter Kahlia kommt nach der Geburt zu Pflegeeltern.

Vier Jahre später finden Wanderer das Jäckchen, das Azaria trug, in der Nähe eines Dingo-Baus. Lindy wird entlassen. Das vermeintliche Blut im Auto der Chamberlains stellt sich als Schalldämpferspray heraus. Das Urteil gegen sie und ihren Mann wird 1988 aufgehoben. Im gleichen Jahr kommt das Drama als Hollywood-Film in die Kinos, mit Meryl Streep: »A Cry in the Dark« (»Ein Schrei in der Dunkelheit«).

In Darwin urteilt am Dienstag Untersuchungsrichterin Elizabeth Morris, dass Azaria starb, weil sie von einem Dingo verschleppt und angegriffen wurde. Diese Todesursache steht nun auch auf dem Totenschein. Mutter Lindy bricht in Tränen aus. Sie sei »erleichtert und erfreut«, dass diese »Saga« nun ein Ende habe, sagt sie. Vater Michael Chamberlain spricht von einem »furchterregenden Kampf«, der viel zu lange gedauert habe. »Aber jetzt ist es Zeit für Heilung und eine Chance, dass die Seele unserer Tochter Ruhe findet.«

Nicht für alle ist der Fall abgeschlossen. Ein ermittelnder Polizisten bleibt dabei: An Azarias Verschwinden waren Menschen beteiligt. »Oder der Dingo ist damals mit dem Kind abgehauen, stehengeblieben, hat ihm die Jacke ausgezogen, sie wieder zugeknöpft, und ist dann abgehauen, mit dem Baby«, sagte Denver Marchant dem »Daily Telegraph«.

Die Chamberlains sind geschieden und wiederverheiratet. Lindy ist seit mehr als 20 Jahren als Motivationstrainerin unterwegs. Ihr Hauptthema: Vergebung.

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