Krieg im Sudan: Kindersoldaten und chemische Waffen

Aus dem Machtkampf im Sudan wird ein regionaler Vernichtungskrieg

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Junge Ibrahim Ismael wurde beim Angriff der RSF-Miliz auf einen lokalen Markt in der Stadt Al-Fascher verletzt.
Der Junge Ibrahim Ismael wurde beim Angriff der RSF-Miliz auf einen lokalen Markt in der Stadt Al-Fascher verletzt.

Die aus angeheuerten Kämpfern und Kindersoldaten bestehenden Rapid Support Forced (RSF) von Warlord Mohammad Hamdan Daglo alias Hemedti sind nach der Eroberung der Stadt Al-Fascher weiter in die benachbarte Großregion Kordofan vorgerückt. Dort befinden sich wichtige Verteidigungsstellungen der sudanesischen Armee, die einen erneuten Angriff der RSF auf die Hauptstadt Khartum verhindern sollen.

Doch die Empörung über den von den Tätern selbst gefilmten Massenmord an tausenden fliehenden Bewohnern von Al-Fascher rief den wichtigsten Partner Hemedtis auf den Plan. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind Hauptlieferant von Waffen und Munition an die Rebellen, die im April 2023 aus der Regierung ausgestiegen waren, um einen Krieg um die Macht in Khartum anzuzetteln. Abu Dhabi und Dubai, die beiden wichtigsten Städte der Emirate, werben um internationale Investoren und präsentieren sich als Business- und Start-up-Hubs. Die Unterstützung einer marodierenden Miliz ist da geschäftsschädigend.

Aus Sorge um die eigene Reputation und Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag setzte Abu Dhabi vergangene Woche die Ausrufung eines dreimonatigen Waffenstillstands durch – »aus humanitären Gründen«, wie es heißt.

Verharren trotz der Gefahr der Drohnen

Über Babanusa und anderen Städten in Kordofan kreisten in dem Moment schon von südamerikanischen Söldnern gesteuerte Drohnen. Journalisten aus Kolumbien hatten erst im Sommer aufgedeckt, dass in den Reihen der RSF zahlreiche Spezialisten aus westlichen Ländern als Drohnenoperateure im Einsatz sind. Die von ihnen bedienten chinesischen Drohnen verschafften durch ihre Reichweite und Präzision der RSF einen entscheidenden Vorteil auf der sich ständig bewegenden Frontlinie und sorgen auch unter der Zivilbevölkerung für Angst und Schrecken. Doch wegen der vermeintlichen Waffenruhe blieben viele Bewohner – trotz der Präsenz der Drohnen am Himmel über Babanusa.

Am Montag starteten die mit ihren Toyota-Jeeps äußerst beweglichen RSF-Einheiten einen Zangenangriff auf die Stadt und nahmen nach wenigen Stunden das letzte Hauptquartier der sudanesischen Armee in Westkordofan ein. Soldaten der 22. Brigade flohen in Richtung Khartum. Tausende nicht arabische Darfuris versuchen, sich vor der Blitzoffensive in Sicherheit zu bringen. Doch die Videos von den Feldern bei Al-Fascher lassen Schlimmstes befürchten.

Tausende entlang der Fluchtroute auf dem Boden liegende und regungslose Menschen sind in den Aufnahmen vom Oktober zu sehen. Unter den Opfern sind offenbar viele Frauen und Kinder, ein klares Indiz für die Absicht, ganze Landstriche durch ethnische Säuberungen der lokalen Bevölkerung unter Kontrolle zu nehmen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Golfstaaten sind an den fruchtbaren Böden Kordofans und der Provinzen der Darfur-Region interessiert sowie an den zahlreichen Goldgräbersiedlungen – auch um den Preis eines blutigen Kriegs – und investieren schon seit Langem in diese Geschäfte im Sudan. Hemedti und seine Familie sind selbst darin involviert.

Kühe, Kamele und diverse landwirtschaftliche Produkt werden seit Jahrzehnten aus dem östlichen Sudan in die Golfstaaten exportiert und auch jetzt über die Frontlinie hinweg zur Verschiffung nach Port Sudan gebracht.

Massenmorde der RSF

Die Massenmorde, die von der RSF bei ihren Eroberungen begangen werden, haben aus dem Kampf um Macht und Zugang zu Bodenschätzen einen Vernichtungskrieg gemacht, in dem auch Regierungssoldaten und die mit ihnen verbündeten Islamisten schwere Kriegsverbrechen begehen.

Der französische TV-Sender France 24 hat Beweise vorgelegt, dass bei der Rückeroberung einer Raffinerie in Khartum im September mit Chlorin gefüllte Fässer über RSF-Kämpfern abgeworfen wurden. Die für die Wasseraufbereitung verwendete Chemikalie wirkt schwer ätzend und gilt als Chemiewaffe. Obwohl die Regierung in Khartum zur Generalmobilmachung und Befreiung des gesamten Landes aufgerufen hat, scheint keine der beiden Seiten militärisch überlegen zu sein.

Doch eine Teilung der Macht in ein westliches und ein östliches Gebiet scheint weder für Armeechef Abdel Fatah Al-Burhan oder Hemedti noch ihre internationalen Partner eine Option zu sein. Al-Burhan hat am Montag die russische Marine offiziell dazu eingeladen, am Roten Meer eine Marinebasis zu eröffnen – ein Wunsch, den auch schon das iranische Regime geäußert hat.

»Leidtragende dieses Machtkampfes sind die fast zehn Millionen Sudanesen, die aus dem sich ständig ändernden Kampfgebiet fliehen«, sagt Karmen Sakhr, Leiterin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Libyen. »Die Zahl der nach Libyen und die damit an die Mittemeerküste fliehenden Menschen steigt unentwegt.«

Marburg-Virus grassiert

Unter den Flüchtlingen grassiert nun auch das ansteckende Marburg-Virus, vor dem viele Sudanesen aus den provisorischen Flüchtlingslagern weiter zu Verwandten gezogen sind. Nach der Überraschungsoffensive der RSF in Kordofan fürchten sie, dass auch Karthum wieder Ziel von Angriffen werden kann.

Neben der RSF und Haftars Libyscher Nationalarmee (LNA) sind im libysch-sudanesischen Grenzgebiet auch hunderte russische Soldaten im Einsatz, vermuten westliche Geheimdienste. Seit Dezember 2024 beobachten sie Renovierungsarbeiten auf der libyschen Luftwaffenbasis Matan Al-Sara. Den rund 100 Kilometer südlich der Oasenstadt im flachen Wüstengebiet gelegenen Flughafen ließ einst der libysche Machthaber Muammar Al-Gaddafi anlegen, um den Norden des Tschad und Darfur zu beherrschen. Nun sind in Matan Al-Sara russische MIG-Kampfjets stationiert, Soldaten des Afrika-Korps des Kreml trainieren laut libyschen Augenzeugen RSF-Kämpfer, die in der Gegend mehrere Militärcamps aufgeschlagen haben.

»Kufra ist wie alle Städte der Region nur ein kleiner Punkt in einer riesigen Region voller flachen Sandpisten«, sagt ein libyscher Journalist aus der Gegend. »Die meisten Libyer bekommen von dem riesigen Militär-Aufmarsch im Dreiländereck von Sudan, Libyen und Tschad nur wenig mit. Die RSF-Milizionäre, die russische Armee und Haftars Leute kontrollieren bald ein Gebiet von Libyen bis Mali.«

Die langen Schlangen vor den Tankstellen sind für viele in Südlibyen der Beweis, dass die in Libyen trainierenden RSF-Milizen fast das gesamte Benzin erhalten, das aus Bengasi nach Südostlibyen geliefert wird, in die Grenzregion zum Sudan. Auch der regionale Krieg eskaliert. Ägyptische Kampfflugzeuge sollen Anfang der Woche einen Nachschubkonvoi der RSF auf libyschen Territorium bombardiert haben, berichten libysche Augenzeugen.

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