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Wo Varus Kopf und Legionen verlor
Museumspark in Bramsche-Kalkriese für die »Schlacht im Teutoburger Wald«
Hier hat sich das Gemetzel abgespielt: Bei der Ortschaft Kalkriese im Wiehengebirge, etwa 20 km nördlich von Osnabrück. Im Frühjahr hat die Varusschlacht ein Museum mit Archäologischem Park erhalten - hier, auf dem legendären Schlachtfeld.
Drei römische Legionen
Es ist im September des Jahres 9 der neuen Zeitrechnung gewesen. Der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus ist mit seinen Truppen auf dem Marsch vom Sommerlager an der Weser zurück in die Winterquartiere in Köln und Xanten. Varus, im Alter von etwa 55 Jahren stehend, ist ein erfahrener Feldherr und Politiker. Er hatte seinem Kaiser Augustus schon in anderen Teilen des Imperium Romanum gedient, das sich von Ägypten bis zur Nordsee ausdehnt: Die reiche Provinz Africa hat er verwaltet, jenes Gebiet im heutigen Tunesien, in dem einst die Karthager geherrscht hatten; er war Statthalter in der Provinz Syrien, wozu das judäische Königreich des Herodes gehört, dem Verbündeten Roms.
Nun ist er legatus augusti pro praetor für Gallien, Statthalter des Imperators. Sein Hauptquartier am Rhein mit Oberbefehl über fünf Legionen hat er vermutlich im Jahre 7 eingenommen. Varus soll wahrscheinlich vollenden, was seine Vorgänger in diesem Amt begonnen haben: Den germanischen Stämmen, salopp gesagt, römische Sitten beibringen, sie in ihren Siedlungsgebieten bis zur Elbe für eine Provinz Germanien auf römisches Rechts- und Tributsystem vorbereiten. Und so zog er mit seinem strahlenden Heer friedfertig durchs Land. Drei Legionen befiehlt er, die XVII., XVIII. und XIX. An die 20000 Köpfe samt Hilfstruppen und Tross.
Arminius Hinterhalt
Da erreicht Varus die Nachricht, dass es angeblich Aufruhr unter germanischen Stämmen geben soll. Ein germanischer Hilfstruppenkommandeur, ein 25-Jähriger, bekommt den Befehl, mit den germanischen Einheiten für Ruhe zu sorgen. Es ist der Sohn des Cheruskerfürsten Segimer und trägt den römischen Namen Arminius. Seit Jahren steht er in römischen Diensten, im Jahre 4 ist er sogar zum römischen Bürger und Ritter ernannt worden. Sein Sinn aber steht ihm nicht nach Rom. Er hat den Varus getäuscht. Kein Aufruhr findet statt. Vielmehr führt er die Germanenstämme zusammen, um Varus zu schlagen - und sich womöglich zum germanischen König zu erheben.
Hier, am Fuße des Kalkrieser Berges, in dem ohnehin unwegsamen, waldigen Gelände voller Dickicht legt er an einem Engpass zwischen Berg und Moor einen mannshohen Wall aus Sand und Grassoden an, hinter dem sich seine Kämpfer verschanzen. Mit dem Ruf um Hilfe gegen die angeblich aufrührerischen Landsleute lockt Arminius seinen Gönner Varus in diesen Hinterhalt. Den auf große Feldschlachten gedrillten Römern bleibt nur eine Schneise von 80 bis 100 Metern.
»So brach der vierte Tag ihres Marsches an, als erneut ein starker Regen und ein furchtbarer Sturm sie überfielen, so dass sie weder vorwärts kommen noch fest auf der Stelle stehen, ja nicht einmal ihre Waffen gebrauchen konnten. Denn Pfeile, Wurfspieße, sogar auch die Schilde waren, da alles völlig durchnässt war, kaum zu benutzen«, schreibt später der Senatshistoriker Cassius Dio über die Schlacht. Die Römer werden erbarmungslos nieder gemetzelt. Der verzweifelte Varus nimmt sich mit seinem Schwert das Leben.
Ein ruhmbedecktes Heer ist von den Germanen vollständig vernichtet worden. Mit dieser Schlacht, so urteilt Friedrich Engels, »war die Unabhängigkeit Deutschlands von Rom ein für allemal entschieden«. Als Kaiser Augustus die Nachricht von der verheerenden Niederlage erhält, soll er verzweifelt ausgerufen haben: »Quintilus Varus, gib die Legionen zurück.« Denn dieses Heer, so der römische Geschichtsschreiber Velleius Paterculus, ein Zeitgenosse des Ereignisses, »war das tapferste von allen und nach Zucht, Schlagkraft und Erfahrung in vielen Kriegen unter allen römischen Truppen das erste«. Niemals wieder jedenfalls, so tief saß das Entsetzen, ist eine römische Legion mit den Ziffern XVII, XVIII oder XIX bedacht worden.
Anstelle seiner Legionen erhält Augustus jedoch das Haupt des Varus. Arminius hat es abschlagen lassen und dem Markomannenkönig Marbod geschickt. Ihn, einen der mächtigsten unter den Germanenherrschern, will er so für die antirömische Allianz gewinnen. Doch Marbod lässt als Zeichen der Loyalität das Haupt des Varus nach Rom bringen. Etwa ein Jahrzehnt später erleidet auch Arminius ein schmähliches Ende: Er wird von seiner eigenen Sippe ermordet. Nachdem Gemahlin Thusnelda und beider Sohn bereits an die Römer ausgeliefert worden war. Und zwar vom Schwiegervater des Arminius, einem angesehenen Cherusker namens Segestes. Mehr weiß man nicht von Arminius, nicht einmal sein germanischer Name ist bekannt. Erst Martin Luther hat diesen Cherusker zum deutschen Helden-Hermann ernannt.
6000 Fundstücke
Auf dem einstigen Schlachtfeld am Nordhang des Kalkrieser Berges sind inzwischen 11 000 Quadratmeter Fläche untersucht worden, seit im Sommer 1987 der britische Offizier Tony Clunn als Amateur-
archäologe einen römischen Münzschatz und drei Schleudergeschosse aus Blei ausgegraben hat. Annähernd 6000 Fundstücke wurden bislang bei den systematischen Ausgrabungen gemacht: Weit über eintausend römische Münzen, etwa 530 Militaria, Werkzeuge, Gebrauchsartikel, Menschenknochen, ganze Maultierskelette. Glanzstück ist die Gesichtsmaske eines römischen Reiterhelms. Sie ist, wie viele der Fundstücke, in dem höchst originell und anschaulich gestalteten Museum ausgestellt. Die Forschungsergebnisse von Archäologen, Anthropologen, Zoologen, Biologen, Chemikern werden erläutert. Der teutsche Hermann-Mythos vergangener Jahrhunderte erlebt eine Geisteraustreibung.
Im Museumspark vermitteln Pavillons, der exakt am historischen Verlauf nachgebildete Germanenwall und Schrifttafeln eine Sicht auf die Ereignisse von vor nahezu 2000 Jahren. Den Weg durchs Gelände markieren Schrifttafeln mit erklärenden Texten. Auch die »Germania« des römischen Historikers Publius Cornelius Tacitus (um 55 bis um 120) wird zitiert. Er hat, neben anderen Römern, wenngleich geografisch nicht exakt lokalisiert, unser Geschichtswissen festgeschrieben.
Denn die Germanen konnten noch nicht schreiben, sie besaßen keine Schrift. Nur die Römer benannten den Ort: saltus Teutoburgiensis - Schlacht im Teutoburger Wald. Klingt ja wohl auch besser als Schlacht bei Kalkriese.
Informationen: Varusschlacht eGmbH, Venner Str. 69, 49565 Bramsche-Kalkriese; Tel. (05468) 9204-0, Fax (05468) 9204-45. Öffnungszeiten täglich 10 bis 18 Uhr.
Anreise: Mit dem Auto über die A 1, Abfahrt Bramsche; auf der B 218 in Richtung Venne/Bad Essen. Mit Bus ab Osnabrück-Hauptbahnhof Linie X275 Richtung Venne (zirka 50 Minuten).
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